Die Staatsanwaltschaft Berlin soll das Verfahren nach “Deutschland erwache!”-Rufen auf einer rechtsextremen Demonstration eingestellt haben.
Lutz Urbanczyk, der sich im Umfeld der Berliner AfD bewegen soll, die Partei in der Vergangenheit im Wahlkampf unterstützte und auch auf der Demonstration zur Wahl “seiner Partei” aufrief, hatte bei dem “Merkel muss weg”-Aufmarsch durch Berlin-Mitte am 9. September 2017 die genannte Parole mehrfach vom Lautsprecherwagen gerufen.
Die Losung ist Teil des verbotenen “Sturmlieds” der paramilitärischen Sturmabteilung (SA) der NSDAP.
Im Anschluss an seinen Ausruf übergab Urbanczyk das Mikrofon an den Leipziger Neonazi Alexander Kurth, der die Demonstrant_innen darauf einschwor, als “nationalistische Kammerjäger” gegen “die Ratten im Land” vorzugehen. Kurth ist seit Jahren in der neonazistischen Szene aktiv und war unter anderem Landesvorsitzender der Partei Die Rechte. Auf der Bühne des Lautsprecherwagens sprach später neben Urbanczyk außerdem der ehemalige Vorsitzende der Berliner NPD, Sebastian Schmidtke.
Die Polizei Berlin kündigte kurz nach Urbanczyks Ausruf über ihren Twitteraccount an, Hinweise auf den Vorfall an die Einsatzleitung weitergegeben zu haben, die nun die Ermittlungen aufnähme.
Die Pressestelle der Berliner Polizei teilte dem JFDA auf Anfrage am 12. September mit, dass das Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei. Ob die Verwendung strafbar sei, käme laut dieser auf den Kontext an: Zu bestrafen sei nur das Rufen in einem rechtsextremen Zusammenhang, der bei der Demonstration nicht gegeben gewesen sein soll.
Der Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, schloss sich dieser Einschätzung gegenüber dem JFDA an: Die Parole sei seiner Meinung nach kein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Gruppierung und die Verwendung daher nicht grundsätzlich strafbar. Den Staatsanwalt, der das Verfahren eingestellt haben soll, habe Steltner seit dem 12. September bis heute (21. September) nicht erreicht, weshalb er sich nicht näher zu den Gründen für die Einstellung äußern wolle. Selbst die Einstellung des Verfahrens könne er – anders als die Kolleg_innen von der Pressestelle der Polizei – aus diesem Grund bislang nicht bestätigen.
In der Vergangenheit war nach der Nutzung der Parole in anderen Fällen wegen der Straftatbestände der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt worden. Auch der Berliner Verfassungsschutz sowie die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung bezeichnen die Parole in ihren Publikationen als verboten.
Gleichwohl war schon im Mai diesen Jahres in Köln ein ähnliches Verfahren eingestellt worden: Damals ordnete die Staatsanwaltschaft Köln laut einem Bericht der Kölnischen Rundschau den Tweet des Kölner AfD-Ratsherren und Hauptmann des Militärischen Abschirmdienstes, Hendrik Rottmann, nicht in einen eindeutigen rechtsextremistischen Kontext ein und soll mit dieser Begründung das Verfahren eingestellt haben. Rottmann hatte einen Tweet mit den Worten „Deutschland erwache…“ beendet. Die Kölnische Rundschau zitierte den Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn damals mit den Worten: „Der Tweet war mehrdeutig und stachelte nicht zu Hass auf. Das hat eine intensive Prüfung des Sachverhalts ergeben“.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Berliner Staatsanwaltschaft nun mutmaßlich auch dann, wenn die Parole einer Gruppe von rechtsextremen Demonstrant_innen zugerufen wird, die sich als „nationalistische Kammerjäger“ verstehen.
Photo: Der ehemalige Vorsitzende der Berliner NPD, Sebastian Schmidtke (links), und Lutz Urbanczyk (rechts) auf der Bühne des Lautsprecherwagens bei der „Merkel muss weg“-Demonstration am 9. September 2017.
Das JFDA berichtete über die Demonstration und dokumentierte auch den genannten Vorfall.
Video: https://www.youtube.com/watch?v=eZPNvMwiX60 (Vorfall bei 2:36 Minute)
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