Auf Einladung der European Jewish Association (EJA) fand vom 23. auf den 24. Januar 2023 eine Delegationsreise europäischer Politiker:innen und jüdischer Organisationen nach Prag und Theresienstadt statt, um dort an die Verbrechen der Nazis und die Befreiung der Konzentrationslager vor 78 Jahren zu erinnern.
Höhepunkt der Reise war neben der Gedenkveranstaltung in Theresienstadt, bei der Abgesandte verschiedener europäischer Länder auf dem Gelände des ehemaligen Krematoriums eine Kerze entzündeten, die Verleihung des „King David Awards“. Dieser wurde an ADIDAS verliehen, vertreten durch Amanda Rajkumar. Sie ist als Vorstandsmitglied verantwortlich für den Bereich Human Resources. Der Preis wurde für die sofortige Auflösung der Zusammenarbeit von ADIDAS mit Kanye West verliehen. Es handelt sich um ein Beispiel dafür, dass entschiedenes Handeln möglich ist, auch wenn es gegebenenfalls zu finanziellen Einbußen führt. Der US-amerikanische Rapper ist in der Vergangenheit immer wieder durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.
Langfristig dürfte eine derart eindeutige Haltung der einzige Weg sein, Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten. Es ist notwendig, dass Hassrede und die Verbreitung von Antisemitismus drastische Konsequenzen zur Folge haben. In ihrer Rede betonte Amanda Rajkumar: „Wir haben die Verantwortung, Einfluss zu nehmen und zu handeln. Die Hassreden unseres ehemaligen Partners waren nicht akzeptabel und obwohl wir nicht immer alles richtig gemacht haben, haben wir diesmal die richtige Entscheidung getroffen. Wir werden die jüdische Gemeinschaft weiter unterstützen und uns gegen alle Formen von Hass, Rassismus und Diskriminierung zur Wehr setzen.“
Das Symposium befasste sich mit der Entwicklung antisemitischen Gedankenguts in Europa und den alten und neuen Mustern des Antisemitismus, der sich in seiner ausgeprägten gegenwärtigen Form als Boykottbewegung gegen Israel in weiten Bereichen der Gesellschaft etabliert hat. Darüber hinaus wurden Möglichkeiten der Prävention behandelt. Ein weiterer Schwerpunkt der Veranstaltung war das Thema Erinnerungskultur. Gerade Theresienstadt, oder Terezin, wie es in der Landessprache heißt, ist ein Beispiel dafür, wie in der Öffentlichkeit falsche Tatsachen verbreitet werden – denn das Ghetto wurde, nach dem bekannten Slogan des im Stil einer Dokumentation gedrehten Propagandafilms von Kurt Gerron „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ als Ort präsentiert, in dem es sich den Umständen entsprechend gut leben ließ. Um eine Delegation des Roten Kreuzes zu täuschen, das die humanitären Belange des Lagers in Augenschein nehmen wollte, wurde im Dezember 1943 tatsächlich eine sog. Stadtverschönerungsaktion gestartet. Das Internationale Rote Kreuz besuchte das Ghetto am 23. Juni 1944 und bekam eigens zu diesem Zweck eröffnete Cafes und einen Kinderpavillon zu sehen, für den Kinder ausgesucht wurden, die noch in einem einigermaßen präsentablen Zustand waren. Die Kinderoper Brundibár des Komponisten Hans Krása wurde aufgeführt, separate Vier-Augen-Gespräche mit den Bewohnern fanden nicht statt.
Die Wirklichkeit sah also anders aus: Die Bewohner:innen lebten unter beengten Verhältnissen, litten unter mangelnder Ernährung und ihre Unterkünfte verfügten nicht über angemessene sanitäre Anlagen. Sie plagten sich aufgrund der unhygienischen Verhältnisse mit Ungeziefer und waren Krankheiten ausgeliefert, die sich schnell ausbreiten konnten und viele Todesopfer forderten. Zu der mangelnden Ernährung kam Zwangsarbeit, zu der die Ghettobewohner:innen verpflichtet wurden. Bekannt ist die Aufschrift „Arbeit macht frei“ am Eingang zur kleinen Festung – ein Euphemismus, wie der Überlebende Gidon Lev feststellte, der in Terezin überlebte. Ein Wunder, wie er sagte, denn die Freiheit, die gemeint war, sei der Tod gewesen. Und: „Kinder wollen nicht sterben, Kinder wollen leben. Ich habe überlebt weil meine Mutter als Zwangsarbeiterin hart gearbeitet hat.“
Insgesamt waren zwischen 1940 und 1945 über 140.000 Jüdinnen:Juden in der ehemaligen Festungsstadt aus dem späten 18. Jahrhundert untergebracht, aus der Fluchtversuche nicht gelingen konnten. Neben dem größeren Ghetto gab es die sog. kleine Festung, in der ein großer Trakt für Häftlinge eingerichtet war. Hier konnte die SS mit wenig Aufwand hunderte von Menschen gefangen halten und ermorden. Neben den großen Zellen, in denen bis zu 500 Personen untergebracht waren, gab es kleine Zellen für die Einzelhaft. Die SS Wachmannschaften hatten neben ihrer Kaserne ein eigenes Kino, ein Feuerlöschteich diente als Swimmingpool.
Heute macht der Ort Terezin einen freundlichen Eindruck. Insgesamt leben dort etwa 2.800 Menschen, eine angemessene Zahl für die Anzahl der verfügbaren Wohnungen. Die Häuser sind teilweise um einen kleinen Marktplatz herum angeordnet. Hier wurden damals zeitweise zwischen 40.000 und 50.000 Menschen untergebracht. Das vor Ort eingerichtete Museum versucht, die damalige Nutzung des Ghettos so detailgetreu wie möglich darzustellen. Dazu gehört die Rekonstruktion eines Zimmers, das die beengten Verhältnisse zeigt. Den Schwerpunkt bildet die Dokumentation der künstlerischen Aktivitäten, die den Bewohner:innen erlaubt waren. Sie sollten zur Unterhaltung beitragen und möglichen Aufständen entgegenwirken. Es entfaltete sich tatsächlich eine breite Palette künstlerischer Aktivitäten. Bildende Künstler:innen schufen nicht nur legale Kunstwerke, sondern dokumentierten auch die unerfreulichen Umstände des Alltags. Es gab Theateraufführungen und Kabarett. Parallel lebte eine große Anzahl an Menschen unter katastrophalen Umstände im Lager, überlebte nicht und die Leichen wurden begraben. Der Friedhof in Nähe des Lagers lag in einer Senke, sodass die toten Körper oft in Massengräbern im Grundwasser begraben wurden. Aus diesem Grund beschloss die Lagerleitung im Frühjahr 1942, ein Krematorium zu errichten, wo die Leichen verbrannt werden konnten. Dieser Ort ist heute eine Gedenkstätte, denn die Toten haben keine Gräber – ihre Namen sind nur noch den Listen und Totenscheinen zu entnehmen.
An der Gedenkveranstaltung im Vorfeld des Internationalen Holocaust Gedenktags nahmen über hundert Mitglieder europäischer Parlamente und Abgesandte europäischer Regierungen teil, darunter Österreich, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Holland, Luxemburg, Portugal, Slowakei, Slowenien, Ungarn und selbst Großbritannien. Aus Deutschland vertrat Frank Müller-Rosentritt (MdB) das Parlament und zündete eine Kerze im Gedenken an. Weitere Vertreter:innen aus Deutschland waren unter anderen Sarah Singer von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Thomas Feist, Antisemitismusbeauftragter in Sachsen, Stefan Hensel, Antisemitismusbeauftragter in Hamburg, und Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftrager der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
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