In einer aktuellen ARD-Dokumentation anlässlich des 50. Jahrestags des Attentats auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 sprechen zwei der heute noch lebenden Terroristen über ihre Taten. Reue zeigen sie nicht, stolz erzählen sie ihre als „Widerstand“ eingebettete Geschichte. Diese Darstellung schmerzt und ist schwer zu ertragen.
Anlässlich des 50. Jahrestags des Anschlags auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 in München hat die ARD eine vierteilige Dokumentation mit dem Titel „Tod und Spiele – München ‘72“ veröffentlicht. Sie rekonstruiert das Attentat, das durch die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ begangen wurde. Dabei baut der Film auf Archivaufnahmen und eigens für die Dokumentation angefertigten Interviews von Beteiligten auf, darunter sind zwei der palästinensischen Attentäter.
Der Film ist insgesamt in einem sachlichen und distanzierten Stil gehalten. Auf eine Moderation wird verzichtet. Auffällig ist, dass die Perspektiven der beteiligten Terroristen, offenbar unter Wahrung einer vermeintlichen dokumentarischen Neutralität, gleichberechtigt neben die der Angehörigen der Opfer gestellt werden. Die Einordnung und Interpretation der „verschiedenen Perspektiven“ wird dabei gänzlich den Zuschauer:innen überlassen. Diese Herangehensweise mag für eine Dokumentation interessant erscheinen, im Hinblick auf ein terroristisches Verbrechen mit mehreren zivilen Toten gibt aber gerade die unkommentierte Darstellung an vielen Stellen den Tätern Raum für die Romantisierung ihrer Tat. Dabei sollten Neutralität und Distanz auch in Dokumentationen ihre Grenzen haben, wo extremistische und gewaltverherrlichende Aussagen ohne Einordnung bleiben. Dies ist bei den Stellungnahmen der Attentäter aber keineswegs der Fall. Vielmehr nutzen diese die Bühne, die ihnen geboten wird, um ihren bis heute andauernden Hass auf Israel und israelische Bürger:innen zu verbreiten. Ein Attentäter gibt an, er bereue nichts und werde auch niemals bereuen, er würde es jederzeit wieder tun. An einer anderen Stelle scherzt einer der Attentäter, dass es angesichts der gescheiterten Befreiungsaktion besser für die Geiseln gewesen wäre, wenn sie aus dem Hubschrauber gesprungen wären, der sie zum Flugfeld transportierte. Die Arglosigkeit der israelischen Sportler kümmert den Terroristen auch 50 Jahre nach der Tat nicht. Vielmehr imitiert er ihre von Angst geprägte Körperhaltung und rechtfertigt sich vor laufender Kamera damit, dass er die Geiseln als Israelis grundsätzlich als Feinde betrachte. Die Äußerungen der Terroristen, mit denen diese sich als Freiheitskämpfer für das palästinensische Volk stilisieren, während sie die Opfer verhöhnen, bleiben ebenfalls ohne eine kritische Einordnung.
Die Dokumentation stellt zudem das Attentat in Zusammenhang mit dem Streben der Palästinenser:innen nach einem eigenen Staat. So entsteht – wenn auch eventuell unbeabsichtigt – der Eindruck, bei der Gewalt gegen die israelischen Sportler handele es sich um legitimen „Widerstand” gegen einen israelischen Aggressor. Dies zeigt sich bereits darin, dass den Terroristen viel Redezeit eingeräumt wird, wodurch ihr Narrativ reproduziert wird. Die Attentäter sprechen durchgehend nicht nur von einer „Operation“, die getöteten Terroristen heißen bei ihnen auch „Märtyrer“. Der Film ist außerdem gewissermaßen eingerahmt durch den Nahost-Konflikt in einer sehr verengten Darstellung, die auf eine Täter-Opfer-Umkehr hinausläuft. Der erste Teil des Films erklärt den Ursprung des Konflikts, wobei dies mit Bildern von mutmaßlich flüchtenden Palästinenser:innen unterlegt wird. Jüdinnen:Juden, die zur Zeit der Staatsgründung Israels zu Tausenden aus den arabischen Staaten vertrieben wurden, kommen in dieser Darstellung nicht vor, auch die Aufrufe der palästinensischen Führung zur Flucht werden nicht thematisiert. Im letzten Teil des Films werden Olivenhaine, mutmaßlich in Israel, gezeigt. Passend zu diesen Bildern sagen die Terroristen, künftige Generationen dürften Palästina, ihre Heimat, nicht vergessen und eines Tages werde es eine Rückkehr geben. Hier zeigt sich eine Romantisierung des terroristischen „Freiheitskampfes“, die besonders im Kontext des Attentats extrem unpassend ist.
Auch der Titel „Tod und Spiele” als Abwandlung der Phrase „Brot und Spiele“ (lat. “panem et circenses“), mit der gemeinhin eine dekadent-konsumistische Haltung kritisiert wird, erscheint vor dem Hintergrund des Attentats zynisch. Daneben wird eine Assoziation auf den 1959 erschienenen Roman „Brot und Spiele“ von Siegfried Lenz geweckt, der von einem begabten Sportler handelt, der aus purer Selbstüberschätzung an sich selbst scheitert und am Ende alles verliert, sogar die Freundschaft des Erzählers. Diese sehr unpassende Referenz in Bezug auf die Ermordung von Sportlern, die einem antisemitischem Attentat zum Opfer fielen, hätten die Filmemacher:innen durchaus erkennen können.
Während Jüdininnen:Juden davon berichten, dass sie kaum in der Lage waren, die in der Dokumentation zur Schau gestellte Verherrlichung der Tat durch die Täter zu ertragen, heben Journalist:innen gerade diesen Umstand als „Scoop„ hervor und übergehen damit die Gefühle von Betroffenen von Antisemitismus: „Natürlich ist es ein Scoop, dass Mohammed Safady in dieser Dokumentation zum ersten Mal öffentlich spricht.“ – ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung, das auch als Referenz Platz auf der Webseite der Film-Produktion gefunden hat. In der Selbstbeschreibung des Films heißt es weiterhin, die Dokumentation zeige „das Versagen des deutschen Polizei- und Sicherheitsapparats, vor allem aber macht sie die Dimensionen des bis heute andauernden Nahost-Konflikts spürbar und zeigt, dass die Wunden der Angehörigen der Opfer nicht geheilt sind.“ Es stellt sich der Eindruck ein, die Dokumentation zeichne nicht nur das damalige Versagen der Bundesregierung und Sicherheitsorgane nach, sondern setze selbst auf den Instinkt der Sensation, die damaligen Mörder vor die Kamera bekommen zu haben. Damit bedient sie eine Schaulustigkeit, die vor allem auf dem Rücken der Opfer ausgetragen wird. Das ist gerade vor dem Hintergrund des 50. Jahrestags nicht nur respektlos, es kann insbesondere jüdische Zuschauer:innen verletzen und verstören. Dass im Beschreibungstext der Produktion steht, die Dokumentation mache “die Dimensionen des bis heute andauernden Nahost-Konflikts spürbar“, wirkt darüber hinaus irritierend: Islamistischer Terror ist tatsächlich Teil des Nahostkonflikts, wird aber als solcher nicht in der Dokumentation thematisiert. Vielmehr werden die Terroristen als Freiheitskämpfer eingebettet, die zwar gewaltvolle, aber auch legitime Ziele verfolgen – jedenfalls lässt die Dokumentation kaum Raum für andere Interpretationen. Das wäre allerdings keine dokumentarische Darstellung des Nahost-Konflikts, sondern eine unkritische Reproduktion der Täterideologie. Gerade in Anbetracht potentieller Radikalisierungsprozesse von Einzelpersonen kann eine solche Darstellung zur Wiederholung animieren, weswegen die Forschung immer wieder auf die Problematik der unkommentierten Darstellung von beispielsweise Terrorakten hinweist.
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