Am Samstag, den 20. Februar 2021, kamen rund 300 Menschen in Deggendorf zusammen, um gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung zu demonstrieren. Seit Mai 2020 finden regelmäßig Coronaproteste in der niederbayerischen Stadt statt, die anfänglich von nicht mehr als 50 Demonstrierenden besucht wurden. Veranstaltet werden die Deggendorfer Coronademos hauptsächlich von dem ehemaligen Bundesvorsitzenden der “Deutschen Partei“ und früherer NPD Bundestagskandidat Ulrich Pätzold, der auch am 20.02.21 das Wort führte.
In seinem Redebeitrag zitierte Pätzold den US-amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson, der in der Zeit des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in einem Brief schrieb: “Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen begossen werden.” Zwar erklärte Pätzold, dass er sich ein solches Blutvergießen, wie Jefferson es implizierte, nicht wünsche, fügte danach aber an, dass er selbst davon träume, ein “mutiger Bundeswehrgeneral (möge) mit ein paar Einheiten nach Berlin” gehen, um dort führende Politiker zu inhaftieren. Diese Aussage Pätzolds wurde von den Demonstrierenden, darunter stadtbekannte Neonazis, AfD-Anhänger:innen und ehemalige Mitglieder verbotener rechtsextremer Netzwerke wie dem “Freien Netz Süd”, mit lautem Jubel versehen.
Ulrich Pätzold war Aktivist der “Heimattreuen Deutschen Jugend” (HDJ), die sich bis zu ihrem Verbot 2009 laut Verbotsverfügung als eine Organisation zur “Heranbildung einer neonazistischen Elite” verstand. 2019 rief Pätzold öffentlich zur Unterstützung für die Wahl des rechtsextremen NPD-Politikers Udo Voigt zum Europaabgeordneten auf. Voigt stand mehrfach wegen Volksverhetzung, Verherrlichung des Nationalsozialismus und Relativierung der Shoah vor Gericht. Zu Pätzolds Orga-Team in Deggendorf zählen Mitglieder verschiedener extrem rechter Kameradschaften und Organisationen, wie Michael K., der als Ordner auf der Demo am 20. Februar fungierte und vormals dem “Freien Netz Süd” angehörte. Michael K. und weitere Deggendorfer Demonstrationsteilnehmer:innen waren auch am 29. August 2020 an den gewaltsamen Ausschreitungen vor der Russischen Botschaft in Berlin beteiligt (JFDA-Dokumentation vom 29.08.20: https://bit.ly/3dBZnKE).
Obwohl sich Pätzold auf der Deggendorfer Demonstration am 20.02.21 bürgerlich-demokratisch gab, bekundete er mit dem Jefferson-Zitat und der Artikulation seines Traumszenarios offen seine Bereitschaft für einen gewaltsamen Systemsturz. Damit ist er ein prägnantes Beispiel dafür, wie rechte und rechtsextreme Personen und Gruppierungen die maßnahmenkritischen Coronademonstrationen seit Beginn der Pandemie systematisch für ihre ideologischen und politischen Agenden instrumentalisieren. Seit dem Sommer 2020 wurde im Kontext der bundesweiten Coronademonstrationen auch auf die Person Pätzolds, seine politischen Hintergründe und die extrem rechte, neonazistische Zusammensetzung von Teilen der Demonstrationen in Deggendorf aufmerksam gemacht. Nichtsdestotrotz finden Pätzolds Kundgebungen weiterhin eine breite Akzeptanz in der Deggendorfer Anti-Coronamaßnahmen-Szene sowie Zuwachs auch von vermeintlich unpolitischen Demonstrierenden.
Ein weiteres Charakteristikum der Coronademonstrationen, das sich auch auf der Demo am 20. Februar in Deggendorf bestätigt fand, ist die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, die in ihrem Kern fast immer antisemitisch sind. Eine Deggendorfer Demonstrationsteilnehmerin reproduzierte öffentlich den Verschwörungsmythos um die allmächtige “Hochfinanz”, bei der es sich in antisemitischen Kreisen um eine Chiffre für “die Juden” handelt. In ihren Erläuterungen zu den vermeintlichen Machenschaften dieser “Hochfinanz” gab die Teilnehmerin das stereotypische Muster der Verschwörungserzählung wieder, die im Nationalsozialismus bereits zur antisemitischen Propaganda verwendet wurde. Bei dieser Verschwörungserzählung, wie bei den meisten anderen Phantasien dieser Art auch, steht eine kleine Gruppe von Mächtigen im Zentrum, die die Regierungen dieser Welt manipuliere, um ihre eigenen, dunklen Ziele zu verfolgen - in diesem Fall das Auslösen von Bürgerkriegen und das Abschaffen demokratischer Staatsformen.
Auch die Diffamierung der Presse, bei der es sich um eine gängige Strategie der Coronademonstrierenden zur Abwehr kritischer Positionen gegen ihre Bewegung handelt, trat in Deggendorf deutlich zu Tage. Diese Strategie ist mittlerweile so wirkungsvoll geworden, dass sich Pressevertreter:innen kaum mehr auf Coronademonstrationen aufhalten können, ohne beschimpft, bedroht oder sogar körperlich angegriffen zu werden. Den Vertretern des JFDA war die Dokumentation der Kundgebung in Deggendorf am 20. Februar nur möglich, weil sich Polizeibeamt:innen schützend um sie gestellt hatten.
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