Der Neonazi Sven Liebich aus Halle ist in Berlin im Anklagepunkt Volksverhetzung wegen des Tragens eines sogenannten „Judensterns“ vor dem Holocaustmahnmal freigesprochen worden. Im Anklagepunkt Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte dagegen wurde er zu je 15 Euro auf 70 Tagessätze verurteilt.
Vor dem Landgericht Tiergarten musste sich am 21. November 2022 der einschlägig vorbestrafte und für die Bagatellisierung des Nationalsozialismus bekannte Neonazi Sven Liebich aus Halle wegen Volksverhetzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Er hatte sich im Rahmen einer aufgelösten Demonstration gegen den Corona-Infektionsschutz am 21. April 2021 in Mitte öffentlichkeitswirksam in einem Pullover mit einem aufgedruckten gelben Stern – dem sogenannten „Judenstern“ – mit der Aufschrift „Ungetestete sind hier nicht erwünscht” und dem Tagebuch der von den Nationalsozialisten ermordeten Jüdin Anne Frank vor dem Holocaustmahnmal inszeniert. Dazu trug er eine Armbinde und einen Mundschutz, beides ebenfalls bedruckt mit einem gelben Stern und dem Aufdruck „ungeimpft“. Zuvor hatte er eine Polizeikette, die den Zugang zum Holocaustmahnmal verhindern sollte, mit Körpereinsatz zu überwinden versucht, konnte aber vorerst von eingesetzten Polizeikräften aufgehalten werden.
Später begab er sich dennoch ungehindert an das Holocaustmahnmal, wo er sich von seiner Freundin in dieser Aufmachung filmen ließ. Ein Video, das immer noch in extrem rechten Kanälen verfügbar ist, zeigt ihn in dieser Opferinszenierung. Er hält das Tagebuch von Anne Frank als Symbol einer angeblichen Unterdrückung der Bevölkerung in Höhe und spricht in die Kamera. Die Corona-Infektionsschutzmaßnahmen erinnerten ihn an „dunkle Zeiten“. Die Meinungsfreiheit sei bedroht und bald werde sogar angefangen, „Gas auf die Leute zu sprühen“ – eine Anspielung auf das Gas Zyklon B, das in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zur Ermordung von Jüdinnen:Juden eingesetzt wurde. Weiterhin zieht er eine Parallele zwischen Adolf Hitler und Angela Merkel, „die in die Fußstapfen dieses Diktators“ trete. Dieses Video war, trotz öffentlicher Verfügbarkeit, kein Beweismittel im Prozessgeschehen. Nach der Anklageverlesung ging das Wort an den Angeklagten Liebich. Dieser gab sich zum Tatkomplex Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte redselig und verharmloste sich selbst. Die Polizei, die er in seinem Video noch mit der SA gleichgesetzt hatte, respektiere er und er habe auch keinen Widerstand geleistet. Vielmehr habe er den Einsatz grundsätzlich für rechtswidrig gehalten und die Polizei an ihre Remonstrationspflicht erinnert. Zum Tatkomplex Volksverhetzung äußerte er sich dagegen nicht. Nach Anhörung von zwei Zeugen, einem LKA-Beamten aus Halle und einem Beamten, der Liebich bei seinem Versuch, die Polizeikette zu überwinden, aufgehalten hatte, sprachen der Staatsanwalt und Liebichs Anwältin. Während die Anwältin ausführte, sogenannte Judensterne seien lediglich die Erinnerung an ein „Wehret den Anfängen“ und einen Freispruch in allen Punkten forderte, bewertete die Staatsanwaltschaft beide Anklagepunkte als strafbar und sah eine Freiheitsstrafe ausgesetzt auf 7 Monate Bewährung als angemessen an.
Ohne Pause schloss der Richter sein Urteil direkt an. Dieses lautete Freispruch im Tatkomplex Volksverhetzung und eine Geldstrafe von 15 Euro zu je 70 Tagessätzen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Richter begründete sein Urteil damit, dass Liebichs Posieren vor dem Holocaustmahnmahl zwar „ein extremes Verharmlosen“ des Leids von Jüdinnen:Juden im Nationalsozialismus darstelle, hier eine „Verhöhnung der Opfer“ stattgefunden habe, und die Tat „extrem geschmacklos“ sei, was „dem Ansehen unseres Landes“ geschadet habe und sich „einfach nicht gehört“. Für den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB reiche das aber noch nicht aus.
Seiner Ansicht nach sei diese Inszenierung in heutigen Zeiten nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören und stelle keine Aufstachelung zu Straftaten, in diesem Fall gegen Jüdinnen:Juden dar – was laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber vorliegen müsse, damit der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei. Hier müsse eine „gewisse Verdichtung“ vorliegen, so dass der öffentliche Frieden „im wahrsten Sinne des Wortes“ gefährdet sei, also das „körperliche Wohl“. Gleichwohl gestand der Richter zu, dass man hier auch anders entscheiden könne und es „auch hier im Hause unterschiedliche Entscheidungen“ gab. Damit überging der Richter auch die Strategie des Neonazis Liebich, der seit Jahren Jüdinnen:Juden verhöhnt und Grenzen mit Provokationen immer weiter verschiebt. Liebich hatte diese Sterne zudem in der Vergangenheit in seinem Webshop zum Verkauf angeboten. Dieser war im April 2022 Gegenstand einer Razzia. Der Store war kurzzeitig offline, ist nun aber wieder online – Artikel mit dem gelben Ungeimpft-Davidster kann man nicht erwerben. Hier läuft das Ermittlungsverfahren noch. Im September 2020 wurde Liebich in Halle u.a. wegen Volksverhetzung zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Das Urteil erinnert an einen ähnlichen Fall mit ähnlicher Begründung in Pirna im Oktober 2022. Auch dort argumentierte das Gericht, dass das Tragen eines gelben Davidsterns mit der Aufschrift „ungeimpft“ nicht geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, und damit nicht strafbar. In der jüngsten Vergangenheit hatte es bundesweit allerdings auch Gerichtsurteile gegeben, die in analogen Fällen zuungunsten des Angeklagten ausfielen – wie beispielsweise bei diesen zwei Fällen in Trier. Die Bundesländer haben hier teils unterschiedliche Rechtsauffassungen (Stand: Februar 2022) – stellt das Tragen eines „Ungeimpft-Sterns“ beispielsweise in Nordrhein-Westfalen den Anfangsverdacht einer Straftat (Volksverhetzung) dar, ist das Tragen in Niedersachsen bereits strafbar. Laut Presseberichten im Januar 2022 gab es interne Anweisungen der Polizei Berlin, das Tragen derartiger Symbole zu unterbinden und das Tragen als Straftat zu bewerten. Laut Dr. Sören Lichtenthäler auf dem Portal Beck-aktuell kann das Tragen eines solchen Sterns „nach einem Beschluss des LG Würzburg den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB erfüllen“.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Liebichs Verteidigung haben nun eine Woche Zeit, das Urteil anzufechten. Es ist zu vermuten, dass die Staatsanwaltschaft in Revision gehen wird.
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