Am 27.03.2021 fand im niedersächsischen Braunschweig eine Demonstration des Kreisverbands Braunschweig/Hildesheim der neonazistischen Kleinstpartei “Die Rechte” statt. Unter dem Motto “Pandemiewahnsinn und Behördenwillkür entgegen treten!” hatten sich um 14 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz etwa 30-40 Teilnehmer:innen versammelt, um, so schrieb der KV auf Twitter, “gegen den Lockdown” und “die volksfeindliche Politik in der BRD” zu protestieren.
Unter den Teilnehmer:innen waren u.a. der bekannte Neonazi-Kader Christian Worch (von 2012 bis 2017 Vorsitzender von “Die Rechte”), der Rechtsextreme Martin Kiese [1], der niedersächsische Landesvorsitzende von “Die Rechte” Holger Niemann, Johannes Welge (Vorsitzender des “Die Rechte”-KV Braunschweig/Hildesheim) und der Neonazi Pierre Bauer, der laut einem Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung der Demonstration für “Die Rechte” in Braunschweig als Oberbürgermeister kandidiert. Anmelder der Demonstration war Christian Worch, wie aus einem Redebeitrag hervorging.
Bereits um 13 Uhr hatten sich etwa 200 Gegendemonstrant:innen zu einer Gegenkundgebung versammelt, die durch das Braunschweiger “Bündnis gegen Rechts” angemeldet und organisiert wurde. Die Zahl der Gegendemonstrant:innen stieg nach Angaben der “Braunschweiger Zeitung” im Verlauf des Tages auf bis zu 320 Personen, das “Bündnis gegen Rechts” meldete rund 600 Teilnehmer:innen.
Immer wieder kam es zu Provokationsversuchen seitens der rechtsextremen Kundgebung in Richtung des Gegenprotests. Ein vermutlich angetrunkener Mann versuchte kurz vor Beginn der “Die Rechte”-Kundgebung, Pressevertreter:innen zu bedrängen und zeigte anschließend am Rande der Veranstaltung den Hitlergruß. Die Polizei stellte die Personalien des Mannes fest. Ein Teilnehmer trug eine “Reichskriegsflagge”, außerdem waren drei schwarz-weiß-rote “Reichsflaggen” zu sehen.
Als sich der rechtsextreme Demonstrationszug in Bewegung setzte, zählte er bis zu 45 Personen. In militärischem Drill-Tonfall forderte Johannes Welge die Teilnehmer:innen auf, Reihen zu bilden. Bereits nach wenigen Metern wurden bekannte neonazistische und antisemitische Parolen skandiert, darunter “Nationaler Sozialismus jetzt”, “Kriminelle Ausländer raus”, “Wer Braunschweig liebt, ist Antisemit” und “Nie, nie, nie wieder Israel”. Der linke Gegenprotest wurde ebenfalls unter anderem sexistisch und antisemitisch beschimpft, so zum Beispiel mit dem Ausruf “Nieder mit der roten Pest” und der Beleidigung “Kindermörder” [2]. Ein Teilnehmer rief einer Gegendemonstrantin entgegen “Halt’s Maul, du Fotze!”
In der Innenstadt fand eine Zwischenkundgebung mit drei Redebeiträgen statt. Johannes Welge beklagte im ersten Redebeitrag die in seiner Wahrnehmung vollkommen überzogenen Corona-Maßnahmen und sprach von “Sklavenmasken”, deren Tragen ungesund sei. Hier zeigt sich exemplarisch, an welchen Stellen rechtsextreme Ideologie mit einer Kritik an den Coronamaßnahmen vereinbar wird: Das Tragen von Masken wird als schädigend für die “Volksgesundheit” und als unwürdige Zwangsmaßnahme beschrieben, Träger:innen werden implizit als “Sklaven” - vermutlich des von Rechtsextremen verachteten “Systems” - beschrieben. Hier unterscheiden sich die Inhalte nicht von denen der “Querdenken”-Bewegung.
Anschließend sprachen der niedersächsische Landesvorsitzende von “Die Rechte” Holger Niemann und Christian Worch. Worch schilderte in seinem Redebeitrag Auseinandersetzungen, die er im Vorfeld der Veranstaltung mit den Behörden der Stadt Braunschweig hatte. Bei der Zwischenkundgebung wurde zudem angekündigt, dass der Neonazi Pierre Bauer Oberbürgermeisterkandidat für “Die Rechte” in Braunschweig sei. Bauer hatte im Vorfeld mehrfach versucht, Pressevertreter:innen zu bedrängen.
Nach der Zwischenkundgebung setzte sich die Demonstration wieder in Bewegung zurück in Richtung Hauptbahnhof. Auf dem Weg dahin wurde insbesondere durch den “Die Rechte”-KV-Vorsitzenden Welge immer wieder “Wer Braunschweig liebt, ist Antisemit” gerufen. In Richtung der anwesenden Pressevertreter:innen rief ein Teilnehmer “Feuer und Benzin”[3]. Eine Autofahrerin, die durch das offene Fenster ihre Ablehnung des Neonazi-Aufmarsches zum Ausdruck brachte, wurde durch einen Teilnehmer als “Du Fotze” sexistisch beleidigt. Während der Demonstration wurde aus dem Lautsprecherwagen angekündigt, dass “Die Rechte” das Braunschweiger Stadtbild prägen wolle und in Zukunft weiterhin und regelmäßig in der niedersächsischen Stadt aufmarschieren wolle.
Um 16 Uhr erreichte der Demonstrationszug wieder den Vorplatz des Braunschweiger Hauptbahnhofs. Daraufhin wurde die Versammlung abrupt für beendet erklärt. Im Nachgang durchsuchte die Polizei einen Teilnehmer, da dieser eine Straftat begangen haben solle.
Anmerkungen
[1] Kiese war im November und Dezember 2020 in Braunschweig auf rechtsextremen Kundgebungen durch antisemitische Beschimpfungen von Pressevertreter:innen aufgefallen. Ein Strafverfahren gegen Kiese wurde kürzlich eingestellt. Diese Entscheidung haben wir an anderer Stelle kritisch kommentiert: https://www.jfda.de/post/kommentar-zur-einstellung-des-verfahrens-gegen-den-rechtsextremen-martin-kiese
[2] Der antisemitische Vorwurf "Kindermörder" geht zurück auf mittelalterliche Ritualmordlegenden, die Jüd:innen beschuldigten, christliche Kinder zu entführen und rituell zu töten. Auch heute ist der Ausdruck noch ein Ideologem zB. bei QAnon (im Verschwörungsnarrativ um den Botenstoff Adenochrom) und im israelbezogenem Antisemitismus (in der oft auf antiisraelischen Demonstrationen skandierten Schmähung “Kindermörder Israel”).
[3] Gerade vor dem Hintergrund des gerade erst eingestellten Strafverfahrens gegen Martin Kiese, gegen den wegen genau dieser Formulierung ermittelt wurde, erscheint der Ausspruch besonders pikant und sollte als antisemitisch eingeordnet werden.
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