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Keine „Woche der Demokratie“: Eine Zusammenfassung der Corona-Protestwoche vom 30.07.–06.08.2022


Nicht zufällig fiel die „Woche der Demokratie“ aus dem Spektrum der „Querdenken“-Szene auf die Tage rund um den 1. August 2022. Die letzten zwei Jahre war dieser Tag zentral für die Protestbewegung. Zu Tausenden war man nach Berlin gekommen, um das vermeintliche Ende der SARS-CoV2-Pandemie zu erklären, im Jahr 2021 trotz Verbots. Das kollektive Hinwegsetzen über geltende Infektionsschutz-Bestimmungen führte in der Vergangenheit zu einem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei und stärkte das Gefühl, sich in einem legitimen Aufstand zu befinden. An das Gefühl der Selbstermächtigung anknüpfend, wurde auch 2022 bundesweit für mehrtägige Proteste ins Berliner Zentrum mobilisiert. Mehrere Veranstaltungen standen zu verschiedenen Themen im Angebot: Eine Geburtstags-Party für die Corona-Protest-Partei DIE BASIS, ein pressefeindlicher „Medienmarsch“, der unter anderem vor die Redaktionsgebäude von ZDF, ARD, den Tageszeitungen taz oder Tagesspiegel führte. Hinzu kam eine Demonstration gegen die Impfpflicht im Pflegesektor, eine „Fahrraddemo für den Frieden“ oder eine Kundgebung, die sich gegen die Inhaftierung des Querdenken-Gründers Michael Ballweg richtete und damit verbunden die Freiheit für „politische Gefangene“ forderte. Den Abschluss der Woche bildete ein „Friedens-Fest“ im Mauerpark, für das verschiedene der Szene eigene Musiker:innen angekündigt waren. Daneben gab es über die gesamte Zeit ein „Friedenscamp“ in der Nähe des Kanzleramts, das den Protestierenden Ort der Vernetzung und des Austauschs sein sollte. Eine Dauerkundgebung, die unter dem Motto „Friedliche Revolution“ auf der Wiese vor dem Bundestag angemeldet war, erfüllte einen ähnlichen Zweck. Dennoch: Der Zulauf zu den meisten dieser Veranstaltungen blieb überschaubar und deutlich hinter den Zahlen der letzten Jahre zurück. Lediglich die Auftaktveranstaltung am 30. Juli und der „Medienmarsch“ am 1. August, konnten wenige tausend Protestierende auf die Straße bringen, wobei der „Medienmarsch“ mit bis zu 3000 Teilnehmenden die größte Versammlung blieb. Die anderweitigen Veranstaltungen waren mit jeweils 50 bis 300 Teilnehmenden schlecht besucht und blieben von bekannten Regionalgruppen, wie zum Beispiel der in der Szene gut vernetzten Freedom Parade, geprägt. Diese veranstalten wöchentlich Proteste, die aber kaum weiteres Mobilisierungspotential mit sich bringen und um sich selbst kreisen. Obwohl die Hochphase dieser Protestbewegung für den Moment überwunden scheint, wurde während der „Woche der Demokratie“ noch einmal deutlich, wie tief antisemitische Verschwörungsnarrative, Vergeltungs- und Umsturzphanstasien in diesem Milieu verankert sind und verbindend wirken – trotz aller Heterogenität der Protestierenden. Verschwörungserzählungen rund um den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind ein weiteres Element, das mehr und mehr in dieser Szene Verbreitung findet. Dabei wird unter dem Stichwort des Friedens russische Kriegspropaganda verbreitet, wonach die Ukraine in Wahrheit ein faschistischer Staat oder der Krieg ein Verteidigungskrieg gegen NATO und die USA sei. Beide Erzählungen entlasten den russischen Autokraten. Diese Form von Verdrehungen und Umdeutungen machen Debatten unmöglich und haben eine gegen Kritik immunisierende Funktion. Die Bandbreite an Teilnehmenden an diesen Protesten vereint bisher unpolitische Menschen, Aktivist:innen, die sich als links begreifen und Esoteriker:innen mit extrem rechten Akteur:innen verschiedener Strömungen. Die verbindende Klammer ist anders als bei den Pegida-Protesten kein offener Rassismus, sondern eine tiefe Ablehnung des bestehenden demokratischen Systems, Wissenschaftsfeindlichkeit, die Abkehr vom „Mainstream“, eine massive Pressefeindlichkeit und die Hinwendung zu eigenen alternativen Medienportalen – in der Szene „Alternativmedien” genannt, die Desinformation und antisemitisch aufgeladene Verschwörungsszenarien verbreiten. Diese Plattformen sind selbst Teil der Versammlungen und nutzen diese zur Selbstvermarkung. Dagegen werden nicht der Szene zugehörige und kritisch berichtende Medien attackiert und als “Lügenpresse” diffamiert. Ausdruck fand das insbesondere beim “Medienmarsch”, wo eine euphorische Menge an Medienhäusern vorbeizog und diese stellvertretend beschimpfte. Das Feindbild der “Lügenpresse” unterliegt dem Glauben, Medien seien gekauft und stünden im Dienst einer Elite, die das Volk wissentlich betrüge. Derartige Verschwörungsnarrative gehen häufig mit antisemitischen Ressentiments einher, in der vermeintliche Kritik an gesellschaftlichen Strukturen eine Personalisierung erfährt. Ob nun George Soros, Klaus Schwab, Karl Lauterbach, Bill Gates – Einzelpersonen werden als Strippenzieher hinter gesellschaftlichen Vorgängen vermutet und sollen für ihr vermeintliches Handeln abgestraft werden. Auf T-Shirts, Aufklebern, Schildern und in Reden werden solche Feindmarkierungen deutlich. Der Autor Ernst Wolff etwa betonte in seiner Rede am 01.08. vor dem Bundestag, dass die Krisen der Zeit nur vorgeschoben und nicht das eigentliche Problem seien. Das Problem verortete er in Politiker:innen weltweit, die einem Kartell zuarbeiten würden, das „mächtiger” sei, „als alles, was die Welt je gesehen” habe. Solche Narrative bestärken die Teilnehmenden in ihrem Bild, sich gegen ein menschenfeindliches System aufzulehnen, das sie z.B. über die Impfung manipulieren oder gar vernichten wolle. Indizien oder Beweise werden aus der kritischen Berichterstattung, die als wahrheitswidrig begriffen wird, oder auch aus der Inhaftierung des Querdenken-Begründers Michael Ballweg konstruiert. Ballweg sitzt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und Veruntreuung von Spendengeldern in Untersuchungshaft. In der Bewegung wird er stellvertretend zum Märtyrer stilisiert, der aufgrund seines Engagements für die Wahrheitsfindung aus dem Verkehr gezogen wurde. Im Kampf gegen ein imaginiertes feindliches System, der zu einem Kampf für das Gute umdefiniert wird, haben sich etliche in Parallelwelten geflüchtet, referieren dabei auf eine immerwährende Filterblase und bestätigen sich darin selbst. Anschlussfähig sind insbesondere Erzählungen der Reichsbürgerszene, wonach Deutschland nicht souverän sei und unter Kontrolle fremder Mächte stünde.

In einem solchen Weltbild aber finden insbesondere Minderheiten, die von Antisemitismus, Rassismus oder anderen Formen der Diskriminierung betroffen sind, keine Rücksichtnahme. Vielmehr wird die offene Rechte als notwendiger Teil des Widerstands unter der Verdrehung von Begriffen wie Liebe und Solidarität akzeptiert und hofiert. Es sind keine Einzelfälle, wenn beispielsweise der offen mit der rassistischen Identitären Bewegung vernetzte Luis Hill regelmäßig Teil der Versammlungen ist. Vielmehr haben Köpfe der Bewegung, wie beispielsweise Anselm Lenz oder Michael Bründel, in der offenen Rechten Bündnispartner gefunden.

Zu betonen ist abschließend jedoch, dass die Problematik der verschwörungsideologischen Protestbewegung nicht allein darin begründet ist, dass rechtsextreme Akteur:innen an entsprechenden Demonstrationen und Kundgebungen beteiligt sind. Auch ohne ihre Beteiligung stellt die den Protesten zugrundeliegende Ideologie eine Gefahr für das demokratische Miteinander dar. Die Herausforderung besteht darin, die verbindenden Elemente herauszustellen und zu analysieren.

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