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Kein Ruf nach Frieden: Die Querdenken-Proteste am 07.11.2020 in Leipzig enden in Gewalt

Es sind erschreckende Bilder, die sich am Abend des 7. Novembers 2020 auf den Straßen Leipzigs abspielten: Pyrotechnik, Böllerwürfe, massive körperliche Angriffe auf Polizeibeamt:innen, Journalist:innen und Pressevertreter:innen, tausende aggressive Demonstrant:innen aus dem Querdenken-Spektrum, unter ihnen hunderte Neonazis und Hooligans. Eine augenscheinlich überforderte Polizei konnte sich ihnen nicht in den Weg stellen: Am Ende des Tages zogen die Querdenken-Massen mehr oder weniger ungehindert durch die Straßen Leipzigs.

Unerwartet kamen diese Bilder jedoch nicht, auch wenn das Ausmaß erschreckt. Bereits im Vorfeld wurde deutlich, dass sich hier eine Großveranstaltung anbahnte. Und so überraschte es zwar nicht, machte dann aber doch zunächst etwas sprachlos, dass nach breiter Mobilisierung mehr als 20.000 Menschen dem Aufruf der Querdenken-Initiative folgten. In der ersten Woche der neu beschlossenen Coronamaßnahmen und mit zuletzt fast 22.000 Neuinfektionen am Tag, versammelten sie sich zu einer Massenversammlung auf dem Augustusplatz in Leipzig – ohne nennenswerten Sicherheitsabstand und überwiegend ohne Mund-Nasen-Bedeckung.

Das Klientel war wie bei bisherigen Versammlungen dieser Art heterogen, auch wenn dieses Mal weit weniger Reichsflaggen oder QAnon-Symbole zu sehen waren. Ansonsten war es das bekannte Spektrum aus Impfgegner:innen, friedensbewegten Esoteriker:innen, rechtsextremen Hooligans, tendenziell eher politisch unorganisierten Unzufriedenen und spirituellen Verschwörungsideolog:innen, das der Mobilisierung nach Leipzig gefolgt war. Reichsbürger:innen und Neonazis kündigten ebenfalls ihre Teilnahme am Aufmarsch an. Bereits im Vorfeld wurde auf einschlägigen Social-Media-Kanälen zudem zu Gewalt und zum Gebrauch von Waffen aufgerufen.

Die Reden auf der Bühne waren inhaltlich weitestgehend vorhersehbar. Ganz zu Beginn meldete sich Querdenken 711-Kopf Michael Ballweg per Videobotschaft und berichtete erfreut, dass die ganze Welt auf die Querdenken-Bewegung schaue, die in Deutschland bereits aus 126 Initiativen und ausschließlich Demokrat:innen bestehe. Die bürgerliche Fassade sollte offenkundig aufrecht erhalten werden – störend mag da der Gedanke sein, dass Ballweg sich in der Vergangenheit mit dem rechtsextremen “Volkslehrer” Nikolai Nerling traf, der ebenfalls an der heutigen Kundgebung teilnahm.

In mehreren folgenden Redebeiträgen wurde die Querdenken-Bewegung mit der friedlichen Revolution von 1989 gleichgesetzt, so auch in der verstörenden Ansprache eines 12-jährigen “Paul”, dessen Mutter bereits 1989 in Leipzig demonstriert hatte und in deren Tradition sich Paul sah. Paul war schon auf vorausgegangenen Veranstaltungen der Querdenken-Bewegung als Redner aufgetreten, unter anderem auf der Kundgebung in Berlin am 29.08.2020 (wir berichteten: https://www.facebook.com/watch/?v=304462050842273). Dass hier Kinder sprechen sei ein Hilferuf, kommentierte anschließend ein Moderator auf der Bühne. Tatsächlich ließ sich der Eindruck nicht erwehren, dass Paul vor allem als Instrument für die Querdenken-Sache diente und in seiner Rede und seinem anschließenden Rap-Song Worte und Gedanken vortrug, die mutmaßlich nicht seine eigenen waren.

Mit Pfarrer Christoph Wonneberger sprach dann ein Zeitzeuge und wichtiger Funktionär des Jahres 1989: Wonneberger hatte damals in Leipzig “Friedensgebete” organisiert, aus denen die Montagsdemonstrationen entstanden. Zu den Ereignissen dieses Jahres zog er nun eine Linie: nicht nur sei die politische Situation vergleichbar, auch wie damals gelte, “dass man sich nicht aussuchen könne, mit wem man auf die Straße geht”. Das ist ein wiederkehrendes Motiv der gesamten Coronademonstrationen: Solange man im Ziel geeint ist, spielt es keine Rolle, wer an der politischen Bewegung teilnimmt.

Am 7. November handelte es sich jedoch keineswegs um eine geeinte Veranstaltung. Auf der Bühne wurden Gewaltfreiheit konstatiert und Friedensmantren gesungen, während sich vor der Bühne Nazi-Hooligans über die “weichgewaschenen” Reden beschwerten und empört ausriefen: “Das ist hier doch Volksverblödung”. Auch ein Liedermacher, der betonte, dass er sowohl für Nazis, als auch für Fridays for Future singe, wurde bei Nennung der letzten Gruppierung vom Publikum lautstark ausgebuht. Die späteren Mahnungen von Haintz und den Veranstalter:innen, die behördlichen Auflagen doch bitte wenigstens zu versuchen einzuhalten, wurden mit großem Unmut aus den Reihen der Demonstrierenden beantwortet.

Die Versammlung war im Vorfeld durch die Stadt Leipzig untersagt worden. Am Samstagmorgen wurde diese Entscheidung jedoch kurzfristig durch das Oberverwaltungsgericht Bautzen gekippt – allerdings unter den Auflagen einer Obergrenze von 16.000 Personen, der Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,50 Meter und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Es wurde zwar weder das eine noch das andere eingehalten, dennoch konnte die Querdenken-Kundgebung nahezu ungehindert durchgeführt werden. Erst um 15:35 Uhr wurde sie durch die Stadt Leipzig für beendet erklärt. Die Polizei gab per Durchsage zu verstehen, dass die Teilnehmenden sich vom Platz entfernen sollten. Auch der geplante Aufmarsch um den Leipziger Innenstadtring wurde verboten. Querdenken-Rechtsberater Markus Haintz zeigte sich empört und gab auf der Bühne zu verstehen, dass alles, was nun folgen würde, nicht mehr in der Verantwortung von Querdenken liege.

Dabei war die Organisation der Kundgebung zuvor offenbar bemüht gewesen, nur die “richtigen” Bilder in die Welt zu senden. Das gab Haintz mehrfach zu verstehen, als er die Menge nach Ermahnung der Behörden zur Einhaltung eines Mindestabstands aufrief: „Wir wollen solche Bilder nicht haben“, sagte er vehement – also Bilder, die die Querdenken-Initiative als uneinsichtig, aggressiv und nicht kooperativ zeigten.

Diese Bilder folgten wenige Stunden später. Nachdem die Hauptkundgebung aufgelöst worden war, setzten sich die Demonstrierenden in Bewegung und versuchten offenkundig, den zuvor verbotenen Aufmarsch über den Ring durchzuführen. Nach kurzen Unterbrechungen durch Polizeiblockaden sollte es ihnen auch gelingen: Die Beamt:innen waren in der Unterzahl und mussten sich zurückziehen bzw. die Demonstrant:innen passieren lassen. Immer wieder kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, Rangeleien und Pöbeleien bis zum Verbrennen von Pyrotechnik, Böller-, Stein- und Flaschenwürfen auf Polizei, Demonstrant:innen und Pressevertreter:innen. Letztere wurden immer wieder Ziel von verbalen und körperlichen Angriffen aus den Reihen der Querdenken-Demonstrant:innen, die seitens der Polizei kaum unterbunden wurden und auf die auch keine Festnahmen folgten. Zu beobachteten war ferner, wie ein Polizeibeamter durch einen Querdenken-Demonstranten direkt angespuckt wurde. Auch hier erfolgte keine Festnahme. Viele Pressevertreter:innen schrieben auf Twitter, dass sie sich nicht sicher fühlten und die Berichterstattung daher beenden. Auf dem Twitter Account des Landesgeschäftsführers Berlin-Brandenburg der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) Jörg Reichel sind mindestens 32 Übergriffe auf Journalist:inen durch Querdenken-Teilnehmer:innen dokumentiert, darunter Würfe mit Gegenständen, Jagdszenen, Morddrohungen, Schläge. Mehrere Journalist:innen gingen zu Boden. Der Polizei gelang es nicht, die Presse angemessen zu schützen. „Unsere Befürchtungen, es könne im Rahmen der Demonstrationen erneut zu Anfeindungen und Androhungen von Gewalt gegenüber Journalistinnen und Journalisten kommen, haben sich leider bewahrheitet“, sagte die Vorsitzende der dju in ver.di, Tina Groll, in einer Pressemeldung der dju. Weiter heißt es dort: “Auch Behinderungen der Pressearbeit durch die Polizei seien zu verzeichnen.”

Mehrere Transparente spiegelten ferner die abwertenden Meinungen der Demonstrierenden der Presse gegenüber wieder. So wurden beispielsweise die Mainstream-Medien als “Holocaust-Komplizen” bezeichnet – was nebenbei noch ein perfides Beispiel von Holocaustrelativierung darstellt.

Kritisch ist hier auch zu betrachten, dass die Polizei offenbar nicht in der Lage war, ausreichend Kräfte für diesen Aufmarsch aufzustellen und sich tendenziell zurückhielt bei gewalttätigen Übergriffen auf Journalist:innen, jedoch teils massiv gegen friedliche Gegendemonstrant:innen vorging. Das allein ist ein Skandal für sich. Erschwerend hinzu kommt, dass mehrere tausend Menschen, von denen zuvor Gewalt ausging, frei und ungehindert durch eine Stadt spazieren konnten, die ihnen diese Bewegungsfreiheit eigentlich verboten hatte. Die Signalwirkung der Querdenken-Bewegung an die Welt dürfte erneut frappierend sein: Seht her, uns kann alles gelingen, der Staat geht vor uns in die Knie.

Das massive Gewaltpotential, das von den Querdenken-Demonstrationen trotz der ständigen Rufe nach Frieden und den öffentlichen Meditationsübungen ausgeht, dürfte sich dadurch nur vergrößern. Am 7. November war dies in einem Ausmaß zu sehen, das auf vorherigen Querdenken- und Coronademonstrationen so noch nicht zu beobachten gewesen war.



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