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Hass und Gewalt auf pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin







Das Geschehen in Berlin


Obwohl angesichts der Lage in Israel und Gaza mit Ausschreitungen auf den diesjährigen pro-palästinensischen Kundgebungen zum “Nakba-Tag” zu rechnen gewesen ist, schockierten die Bilder und das Ausmaß der Eskalationen in Berlin an diesem 15. Mai 2021. Mehrere tausend Menschen kamen ab dem frühen Nachmittag auf dem Berliner Hermannplatz zusammen, um ihren Protest gegen Israel im Zusammenhang mit dem aktuellen Nahost-Konflikt auszudrücken.


Drei pro-palästinensische Demonstrationen waren in Berlin für diesen Tag angemeldet worden. Während die erste Demonstration mit etwa 100 Personen friedlich verlief und sich die mehrheitlich sunnitischen Teilnehmenden von den Terrororganisationen Hamas und Hisbollah sowie dem Iran distanzierten, traten auf der zweiten Demonstration, die als “March for Return and Liberation” beworben worden war, Antisemitismus und Islamismus vieler Demonstrierender offen zu Tage.


Unter ihnen waren radikale Islamisten, Anhänger:innen der “Hamas”, der Muslimbruderschaft und der Grauen Wölfe, die ihren Hass gegenüber Jüdinnen: Juden und Israelis in aggressiven Sprechchören herausschrien. Es wurde die Bombardierung Tel Avivs gefordert, die “Intifada bis zum Sieg”, die “Rückeroberung” Palästinas “from the river to the sea”, d.h. vom Jordan bis zum Mittelmeer, und damit die Vernichtung Israels und seiner jüdischen Bewohner:innen.


Dagegen zeigten sich die zahlreichen Transparente der Vertreter:innen der Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung, kurz BDS, und die Vergleiche Israels mit einem Apartheidsstaat fast harmlos. Auch traten andere Parolen und Statements hinter den gewaltsamen Verbalismen zurück, waren in ihrer Aussage und Bedeutung aber nicht minder erschreckend. Wie auch schon auf anderen pro-palästinensischen Demonstrationen in der Vergangenheit, wurde das alte antisemitische Stereotyp der jüdischen “Kindermörder Israel” unzählige Male reproduziert, Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt oder Israel gleich ganz das Existenzrecht abgesprochen. Dazu kamen perfide Vergleiche von Jüdinnen:Juden mit den Nationalsozialisten und Palästinas mit Auschwitz.


Unter die offen antisemitisch und extremistisch agierenden Demonstrierenden mischten sich auch Vertreter:innen linker Organisationen zum Zeichen angeblicher internationaler Solidarität, die sich scheinbar nicht an diesen Hassexzessen gegenüber Jüdinnen:Juden störten.



Als die Polizei diese zweite Demonstration gegen 15:30 Uhr wegen des fehlenden Einhaltens von Abständen und Maskenpflicht auflöste, kippte die anti-israelische und antisemitische Stimmung vollends. Um 16 Uhr glichen der Hermannplatz und die nahegelegene Sonnenallee einem Schlachtfeld: Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei, die stark überfordert wirkte. Unzählige Böller, Flaschen und Steine wurden auf die Beamt:innen geworfen. Immer wieder trafen sie auch unbeteiligte Demonstrant:innen und Pressevertreter:innen. Letztere wurden außerdem zu Adressaten verbaler Bedrohungen und Diffamierungen als “Zionsten-Presse” und “Lügenpresse”.


Die Polizist:innen setzten sich mit Pfefferspray zur Wehr und führten Festnahmen durch. Dabei wurden sie von wütenden Demonstrierenden angeschrien, die meinten, die Polizei wäre noch schlimmer als “die Juden”. Am Rande der Demonstration kam es des weiteren zu einem Angriff auf eine queere Person, die von Demonstrierenden attackiert und geschlagen wurde. Auch um 18 Uhr hielten Demo-Teilnehmende, die die polizeiliche Auflösung der Demonstration nicht hinnehmen wollten, die Einsatzkräfte noch immer in Schach.


Die dritte pro-palästinensische Demonstration in Berlin, die am späten Nachmittag vom Oranienplatz aus startete, zeigte sich nicht weniger antisemitisch, auch wenn gewaltsame Auseinandersetzungen hier ausblieben.


In anderen Städten


Ähnliches lässt sich für die anti-israelische Demonstrationen in Frankfurt am Main, Hamburg und Leipzig am selben Tag feststellen. Auch dort war die Stimmung teilweise aggressiv und aufgeheizt. Es wurden dieselben antisemitischen Narrative und Parolen wiedergegeben wie in Berlin. In Frankfurt am Main nahmen rund 2.000 Menschen an der Demo teil, bis die Polizei sie gegen 18 Uhr wegen zahlreicher Verstöße gegen die Versammlungsauflagen auflöste. Nach dem Ende der Demonstration sollen sich einige Teilnehmende “zielstrebig” in Richtung der Frankfurter Westend-Synagoge bewegt haben. Die Personen wurden von der Polizei noch rechtzeitig festgesetzt (https://twitter.com/Polizei_Ffm/status/1393617728930557952).


Der Hintergrund der “Nakba”


Der eigentliche Anlass der Demonstrationen in Berlin und Frankfurt am Main war der sogenannte “al Nakba” oder auch “Tag der Nakba”, der jedes Jahr am 15. Mai begangen wird. An diesem Tag gedenken vor allem Palästinenser:innen, aber auch Muslim:innen anderer Nationen sowie nicht-muslimische Menschen und Antizionist:innen der Flucht und Vertreibung von rund 700.000 Palästinenser:innen aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina in der Zeit von 1947 bis 1949.


Diese erste und größte Flüchtlingsbewegung von Palästinenser:innen fand unmittelbar nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 ihren Höhepunkt, was die zeitliche Nähe des “Tages der Nakba” zum israelischen Unabhängigkeitstag erklärt. Damit war sie vor allem die Folge des Krieges, der mit der Deklaration des UN-Teilungsplanes am 29. November 1947 zwischen arabischen Milizen und jüdischen Militärorganisationen begonnen hatte, und der durch den Einmarsch ägyptischer, transjordanischer, syrischer, libanesischer und irakischer Truppen internationale Ausmaße annahm. Diese Nationen hatten Israel einen Tag nach seiner Staatsgründung geschlossen den Krieg erklärt und vielerorts die palästinensische Bevölkerung aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und sich in die arabischen Nachbarstaaten zurückzuziehen, um ihren vorrückenden Armeen Platz zu machen und nicht zwischen die Fronten zu geraten.


Die arabischen Nationen gingen von einem sicheren Sieg über Israel aus und stellten den palästinensischen Flüchtlingen die baldige Rückkehr in ihre Häuser und Ortschaften in Aussicht. Mit dem Ende dieses Krieges im Juli 1949 wurde jedoch klar, dass eine Rückkehr für die meisten Palästinenser:innen nicht mehr möglich war. Israel hatte den Krieg für sich entschieden und kam in der Folge zu einem größeren Landbesitz, als es der UN-Teilungsplan vorgesehen hatte, der von den arabischen Nationen abgelehnt worden war.


Unabhängig von den Hintergründen und Umständen der Flüchtlingsbewegung wurde “al Nakba” im kollektiven Gedächtnis von Palästinenserinnen und Palästinensern zu einem traumatischen Ereignis, mit dem viele bis heute den Verlust ihrer früheren Heimat verbinden. Noch immer ist daher der Schlüssel ein tragendes Symbol bei Nakba-Gedenkveranstaltungen und -Demonstrationen. Er steht für die zurückgelassenen Häuser im ehemaligen Mandatsgebiet, zu denen viele der palästinensischen Flüchtlinge bzw. deren Nachkommen noch immer die Haustürschlüssel aufbewahren.


Zeitgleich mit der Flucht und Vertreibung der Palästinenser:innen fanden die Flucht und Vertreibung von etwa 850.000 Jüdinnen und Juden aus arabischen und islamischen Ländern statt, die bis in die 1970er Jahre fortdauerten. In diesem Kontext wird auch von der “jüdischen Nakba” gesprochen. Der überwiegende Teil der jüdischen Flüchtlinge fand in Israel eine neue Heimat.


Auf Kundgebungen zur Nakba, wie die in Berlin und Frankfurt am Main am 15. Mai 2021, wurde bereits in der Vergangenheit das Gedenken an die historischen Ereignisse auch mit Aufrufen zum “Widerstand” gegen die als illegitime Besatzungsmacht angesehene israelische Regierung und zur “Rückeroberung” der ehemaligen palästinensischen Gebiete “from the river to the sea” verbunden. Dabei handelt es sich um eine weitverbreitete antizionistische und antisemitische Parole (mit dem Zusatz “Palestine will be free”), die die vollständige Vernichtung des jüdischen Staates impliziert.


Die Auswirkungen


Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser:innen bzw. der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen, der sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan zuspitzte, am 10. Mai eskalierte und bis jetzt anhält, sowie ähnliche Konfliktsituationen in der Vergangenheit, aber auch das jährliche Gedenken an die Nakba sind Ursache für antisemitische Äußerungen und Straftaten auch außerhalb Israels. So kam es in den Tagen seit dem Ausbruch der Kämpfe zwischen Israel und Gaza zu mehreren Angriffen auf Synagogen in Deutschland - wie in Münster, Bonn und Düsseldorf - oder zu öffentlichen Verbrennungen von Israel-Flaggen.


Jüdische Einrichtungen und Personen sind in diesen Situationen massiv gefährdet, weil die Anhänger:innen extremistischer, islamistischer und antisemitischer Ideologien und Bewegungen, Jüdinnen und Juden weltweit für die israelische Politik verantwortlich machen und viele in diesen Konflikten ein Ventil für ihre antisemitischen Ressentiments finden. Dazu gehören auch Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte, die ihren Antisemitismus nicht offen zugeben würden, stattdessen aber von allen Jüdinnen und Juden verlangen, sie sollten sich zum Konflikt positionieren und sich an die nationalsozialistischen Judenverfolgungen und die Shoah erinnern.


In Berlin sowie auch in anderen Städten wurden daher am 15. Mai die Sicherheitsvorkehrungen für Synagogen und jüdische Einrichtungen verschärft. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich Jüdinnen und Juden immer wieder mit Hassmails und Drohungen konfrontiert sehen und befürchten müssen, auf offener Straße angegriffen zu werden. Die Demonstrationen am 15. Mai 2021 haben ihren Teil dazu beigetragen, dass sich Jüdinnen und Juden einmal mehr darüber Gedanken machen müssen, ob sie sich in Deutschland wirklich sicher fühlen und hier eine Zukunft für sich und ihre Familien sehen.


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