Es knirscht gewaltig in der Corona-Protest-Szene in Berlin. Bereits bei der Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes am 8. September wurde der Streit zuweilen auch auf offener Bühne ausgetragen. Dies setzte sich beim angekündigten „Großumzug“ am 9. September durch Berlin-Mitte fort, für den bundesweit mobilisiert wurde. Auch die relativ geringe Beteiligung mit nur wenigen Hundert zur Kundgebung und etwa 1000 Teilnehmer:innen am darauffolgenden Tag zur Demonstration dürfte die Stimmung etwas getrübt haben. Die Szene beschäftigt sich weitgehend mit sich selbst und streitet offen über Formate und Inhalte. Der zunehmenden Bedeutungslosigkeit scheint man mit inhaltlicher und sprachlicher Radikalisierung zu begegnen. So waren am 9. September unterschiedliche Verschwörungsmythen und antisemitische Inhalte sowohl in Reden als auch auf Plakaten vielfach präsent.
Heiko Schöning bediente beispielsweise in seiner Eröffnungsrede in der Nähe des Bundestags das Narrativ des „Great Reset“, wonach die Pandemie von einer mächtigen Elite ausgeheckt worden sei, um eigene Weltherrschaftspläne umzusetzen. Das Böse wird in der Erzählung insbesondere auf Klaus Schwab projiziert. So sei die Pandemie laut Schönig geplant, um die Welt ins Chaos zu stürzen und um einen wirtschaftlichen Neuanfang zu starten. Es herrsche eine Finanzdiktatur, von der „die Banken und deren private Besitzer“ profitieren würden. Mehrmals wandte er sich dabei direkt an die Zuhörer:innen: „Wacht auf!“. Wie auch andere Redner:innen am Vortag kokettierte Schöning mit Polizeimaßnahmen, denen er in der Vergangenheit ausgesetzt war. Es scheint, als möchte man damit die eigene Relevanz und Radikalität unter Beweis stellen, sich als Teil einer Widerstandsbewegung inszenieren und das Narrativ nähren, Meinungen würden unterdrückt werden.
Nach der Auftaktkundgebung zog die Demonstration an den Bundesministerien für Bildung und Forschung sowie Gesundheit vorbei und endete mit einer Abschlusskundgebung und einem Auftritt der „Rapbellions“ am Ministerium für Finanzen in der Mauerstraße.
Dort hielt auch Katja Arnold eine Rede, die ihrerseits davon sprach, dass alles „von einer machtbesessenen Gruppierung“ gesteuert würde. Diese sei „abgrundtief bösartig und das Geschwür am Arsch der Menschheit“, eine „Krake“, die uns aussauge. Ihre Rede war geprägt von antisemitischen Codes und Stereotypen, was viele Demonstrationsteilnehmer:innen jedoch nicht störte und stattdessen mit Applaus quittierten. Bei dieser Rednerin handelt es sich um eine Physiotherapeutin, die als „Katja aus Cottbus“ auftritt und in der Vergangenheit mit der AfD gemeinsam große Demonstrationen in der Stadt in der Niederlausitz initiierte.
In anderen Redebeiträgen, etwa am Bundesministerium für Gesundheit in der Friedrichstraße, wurde der mittlerweile auf Demonstrationen gegen den Infektionsschutz omnipräsente Vergleich mit dem Faschismus gezogen und der sofortige Rücktritt der aktuellen Regierung gefordert.
Doch nicht nur in Redebeiträgen, auch auf Schildern wurde Antisemitismus codiert. Eine Ordnerin aus dem Umfeld der „freedom parade“ hielt etwa ein Schild mit der Aufschrift „FCK RTHSCHLD“ – eine weit verbreitete antisemitische Chiffre, die auf eine jüdische Weltverschwörung zielt. Ein weiterer Teilnehmer trug ein Schild, versehen mit einer die Weltkugel umschlingenden Krake – ebenfalls ein klassisch antisemitisches Symbol, das als Sinnbild für eine alles an sich raffende Übermacht steht – sowie der Abbildung eines Buchcovers, das einen Bezug zwischen der „Wallstreet“ und dem „Aufstieg Hitlers“ herstellte. Da das Plakat auch das Symbol der Nationalsozialisten abbildete, wurde der Teilnehmer von der Polizei in eine Maßnahme genommen. Ein weiterer Teilnehmer, der bereits wegen Leugnung der Shoah verurteilt wurde, hatte ein Schild mit einer Bildercollage und der geschichtsrevisionistischen und shoahrelativierenden Aufschrift „Bombenholocaust“ umhängen. Der Begriff dient einer antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr, bei der die NS-Vernichtungspolitik auf die Alliierten projiziert wird.
Die Veranstaltung zeigte, dass das Themenspektrum breiter wird. Die Coronamaßnahmen verlieren zunehmend an Bedeutung, stattdessen werden Wirtschaftskrise und Krieg thematisiert. Verschwörungsdenken und Antisemitismus bleiben aber konstant bzw. treten gar noch deutlicher wieder in den Vordergrund.
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