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Eine antiisraelische Querfront? Blinde Flecken in der öffentlichen Wahrnehmung des Antisemitismus

Aktualisiert: 19. Mai 2021

Islamischer Antisemitismus ist eine reale Gefahr, seine Verharmlosung ebenfalls


Am Samstag, 15. Mai 2021, beobachteten wir in Berlin verschiedene pro-palästinensische Demonstrationen zum “Al Nakba”-Tag. Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse im Gaza-Konflikt war die Stimmung auf den Veranstaltungen emotional aufgeladen. Es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen.


Die Ereignisse haben bundesweit für Empörung gesorgt. Allerdings wurde zunächst - auch in mehreren deutschen Leitmedien - der dezidiert antisemitische Charakter der Demonstrationen nicht wahrgenommen. So war von “israelkritischen” Positionen die Rede und davon, dass es auf “pro-palästinensischen” Demonstrationen zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen sei. Antisemitismus wurde in vielen Fällen allerdings als Begleiterscheinung bagatellisiert oder nicht entsprechend thematisiert.


Fest steht: Auf Schildern und in Sprechchören wurden auf den Demonstrationen auch Positionen vertreten, die als legitime kritische Meinungsäußerungen gegenüber der israelischen Politik gelten können und die nicht antisemitisch sind. Ohne dass alle anwesenden Demonstrant:innen also pauschal als Antisemit:innen bezeichnet werden dürfen, muss dennoch deutlich gesagt werden, dass auf allen von uns am 15. Mai beobachteten Veranstaltungen antisemitische Narrative klar im Zentrum standen. Diese wurden nicht nur von einer kleinen Minderheit am Rande geäußert. Eine Abgrenzung durch andere Teilnehmende oder die Veranstaltenden konnten wir vor Ort nicht beobachten und sie sind uns auch im Nachhinein nicht bekannt geworden.


In unterschiedlichen Formen wurden antisemitische Stereotype und Verschwörungserzählungen wiedergegeben, offen zur gewaltsamen Vernichtung Israels sowie zur Vernichtung von Jüdinnen:Juden aufgerufen. Israel wurde mit dem nationalsozialistischen Deutschland verglichen, die Situation in Gaza mit dem Vernichtungslager Auschwitz, Israel als Apartheidsstaat bezeichnet, ein freies Palästina “vom Fluss (Jordan) bis zum Meer” gefordert. Das alles ist glasklarer Antisemitismus. Ausführliche Analysen und Hintergründe finden sich in unserem Bericht vom 15.05.21.


Querfront gegen Israel


Hinzu kommt, dass sich an den Demonstrationen (und insbesondere an dem sogenannten “March for Return and Liberation”) neben linken, antiimperialistischen Gruppen auch zahlreiche Anhänger:innen islamistischer Gruppierungen wie der Muslimbruderschaft, der Grauen Wölfe oder der Hamas beteiligten. Organisiert wurde die Demonstration am Hermannplatz durch das PFLP-nahe Netzwerk “Samidoun”. Die PFLP wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft, “Samidoun” selbst wird von Israel als Terrororganisation eingestuft. Etliche der Demonstrant:innen traten gewaltbereit und militant auf. Gegenüber anwesenden Pressevertreter:innen sowie insbesondere der Polizei kam es zu vielen Übergriffen: Mindestens 93 Polizist:innen und mindestens 17 Journalist:innen wurden verletzt.


Indem die Beteiligung dieser Gruppen sowie offener Antisemitismus in vielen führenden Medien in Deutschland nicht entsprechend aufgegriffen und thematisiert werden, wird der antiisraelische und islamische Antisemitismus bagatellisiert und verschleiert. Aus diesem Grund besteht ein großer Bedarf nicht nur bei Journalist:innen, sondern auch bei Ermittlungsbehörden und dem Verfassungsschutz, die Zusammensetzung dieser Gruppierungen ausreichend zu analysieren. Dass überdies einige an der Demonstration beteiligte autoritäre linke Gruppierungen offenkundig keinen Grund zur Distanzierung gegenüber islamistischen antisemitischen Positionen sehen, ist ebenso problematisch. Analog zu linken und rechtsextremen Akteur:innen, die gemeinsam auf Corona-Demonstrationen auftraten, könnte man hier von einer antiisraelischen Querfront sprechen, bei der linke und islamistische Gruppierungen zusammen gegen einen gemeinsamen Feind, den jüdischen Staat, agieren.


Wenn man Analysen folgt, wie sie jüngst beispielsweise im Magazin tapis formuliert wurden, müsste allerdings eigentlich der Islamismus auch als genuin rechte Bewegung begriffen werden:


“Und so sollte es nicht schwer sein zu erkennen, dass nichts, was Islamisten vertreten, zu einem linken oder zumindest fortschrittlichen Weltbild gehört: virulenter Antisemitismus, keine Trennung zwischen Staat und Religion, Bekämpfung jeglicher Gleichberechtigung der Geschlechter, Hass auf die Freiheit der Kunst und Nostalgie für ein untergegangenes Weltreich, das Kalifat.” [1]

Vereinzelt wird der Islamismus ferner in manchen linken Interpretationen zwar kritisiert, dennoch als verständliche Reaktion auf “den Westen”, “den Imperialismus” oder “Israel” gedeutet oder werden Bewegungen wie Hamas und Fatah als Teil einer globalen Linken beschrieben. Auch hier gilt: Ihn zu tolerieren, billigend in Kauf zu nehmen, nicht zu thematisieren oder als Randphänomen zu beschreiben, normalisiert den Islamismus und verschließt vor den von ihm ausgehenden Gefahren die Augen.


Nicht relativieren, nicht pauschalisieren


Antisemitismus ist ein fundamentaler Bestandteil islamistischer Ideologie. Es ist jedoch wichtig, anzuerkennen, dass es sich bei Antisemitismus nicht nur um ein Problem für jüdische Menschen handelt, sondern dass die sich im Antisemitismus artikulierenden menschenfeindlichen und antidemokratischen Positionen eine Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft darstellen.


Diesem Problem kann freilich nicht adäquat begegnet werden, indem Antisemitismus in rassistischer Art und Weise pauschal, einseitig und ahistorisch als ein “nach Deutschland importiertes Problem” bezeichnet wird. Antisemitismus ist kein Phänomen, welches sich ausschließlich in migrantischen Gruppen und muslimischen Milieus findet. Diese Form der Abspaltung dient im Land der NS-Täter:innnen zumeist dazu, den in der gesamten deutschen Gesellschaft verbreiteten Antisemitismus nur einer Gruppe zuzuschreiben und sich selbst von entsprechenden Vorwürfen zu entlasten: antisemitisch seien immer nur “die Anderen”, Deutschland habe selbstverständlich aus der Geschichte “gelernt” und sei moralisch “geläutert”.


Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass Antisemitismus eben auch unter muslimischen und migrantisierten Menschen verbreitet ist und diese nicht ausschließlich als Opfer und Betroffene von Rassismus angesehen werden können. Davor dürfen nicht die Augen verschlossen werden. Vielmehr braucht es einen scharfen Blick für Antisemitismus in all seinen Facetten - ganz gleich, wer ihn wann artikuliert.


Man kann dabei übrigens durchaus von islamischen Dachverbänden und Moscheen erwarten, den Antisemitismus “in den eigenen Reihen” stärker zu kritisieren und zu problematisieren. Und das ist auch möglich, ohne einseitige Bekenntniszwänge einzufordern und Schuldzuweisungen zu kommunizieren, wonach sie allein verantwortlich seien für islamistische und antisemitische Ideologeme unter Muslim:innen. Es muss möglich sein, diejenigen Organisationen, die für eine Glaubensgemeinschaft stehen, aus der heraus in bestimmten Kontexten vermehrt islamistische und antisemitische Inhalte verbreitet werden, im Sinne eines demokratischen Miteinanders zur Mitarbeit zu ermutigen. Wie so etwas aussehen kann, haben beispielsweise liberale und säkulare Muslim:innen wie Cem Özdemir, Seyran Ateş und Lamya Kaddor vorgemacht, als sie die vergangenen antiisraelisch-antisemitischen Demonstrationen scharf verurteilt haben.


Weniger runde Tische, mehr Maßnahmen


Was muss jetzt getan werden? Zunächst muss sich in der breiten Bevölkerung die Erkenntnis durchsetzen, dass Antisemitismus ein akutes Problem in Deutschland ist und dass es sich dabei um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt. Dieses betrifft in erster Linie Jüdinnen:Juden, aber auch den Rest der Gesellschaft.


Es gilt: Antisemitismus muss immer und überall ernst genommen werden. Israelbezogener Antisemitismus muss ernst genommen werden. Islamischer Antisemitismus muss ernst genommen werden. Antisemitismus gibt es nicht nur bei deutschen Rechten. In der aktuellen Situation reicht es nicht, sich an runde Tische zu setzen und zu debattieren - es muss eine kritische Aufarbeitung erfolgen, es müssen konkrete Strategien entwickelt werden, es müssen tatsächliche Schritte zeitnah unternommen werden, um islamischen Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen.


Hier ist vor allem, aber nicht nur die Bundesregierung in der Pflicht. Es braucht einen Aktionsplan und langfristige Unterstützung für Projekte, die Aufklärungs- und Bildungsarbeit im Themenfeld islamischer Antisemitismus leisten. Es reicht nicht zu betonen, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft “keinen Platz” habe, wie es immer wieder beteuert wird. Offenkundig hat er nämlich einen Platz, sogar viele verschiedene Plätze. Ihm diese zu nehmen, dazu sind in der aktuellen Situationen ein klarer Blick und konkrete Handlungsschritte notwendig.


Verweise:


[1] “WHAT‘S RIGHT? Warum der Kampf gegen den Islamismus ein Kampf gegen Rechts ist”, in: tapis. Analysen zur islamischen Rechten, Ausgabe 1 (2020), S. 3.




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