Schon seit Monaten fällt die Partei ‚Freie Sachsen‘ durch ihre Aktivitäten im Querdenken-Umfeld auf, die in den letzten Wochen immer mehr und radikaler werden. Doch wer steckt hinter der Partei? Und was haben die ‚Freien Sachsen‘ mit der Situation in Belarus zu tun? In diesem Text versucht das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, Antworten auf einige der zentralen Fragen zu diesem neuen Sammelbecken für Rechtsextreme in Sachsen zu finden.
„Kretschmer muss weg“ und „Schießt ihn ab“ – diese und ähnliche Rufe, gerichtet gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, sind derzeit immer häufiger im Freistaat zu vernehmen. Gerufen werden Sie von radikalen Gegner:innen der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Diese haben seit einigen Monaten ein neues Sammelbecken: Die Partei ‚Freie Sachsen‘, die immer stärker durch das Organisieren von oder die aktive Teilnahme an Demonstrationen in Erscheinung tritt. Zuletzt mobilisierten die ‚Freien Sachsen‘ in Zwönitz im Erzgebirge zu sogenannten Montagsdemonstrationen gegen die Pandemie-Maßnahmen. Am 15. November nahmen daran auch Mitglieder der Identitären Bewegung Chemnitz teil. Am Freitag, 19. November, kam es zu den oben genannten „Mordaufrufen“ gegen Michael Kretschmer. Und erst am vergangenen Montag, 22. November, wurde unter Beteiligung der ‚Freien Sachsen‘ und teilweise auch der AfD sachsenweit teils ohne Genehmigung in vielen Städten und Ortschaften demonstriert – darunter Bautzen, Zwickau und Freiberg.
Gegründet wurde die Partei ‚Freie Sachsen‘ vor neun Monaten, am 26.02.2021, in Schwarzenberg im Erzgebirge. Die Gründung steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen in Deutschland. Entsprechende Verweise auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie lassen sich auch im Grundsatzprogramm der Partei finden. Demnach sei die Freiheit der Menschen derzeit bedroht „wie nie“, den staatlichen „Zwangsmaßnahmen“ stelle man sich entschieden entgegen.
Doch während sich die Gründung der Partei nicht losgelöst von der Covid-19-Pandemie erklären lässt, geht das Programm weit über Kritik an Corona-Politik hinaus. Zuletzt widmeten sich die ‚Freien Sachsen‘ aus rechtsextremer Perspektive folgerichtig auch dem Themenkomplex Migration – anhand der Lage an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Obschon die Schlagzeilen zur dortigen Situation weniger geworden sind, hat sich die unmenschliche Lage für Migrant:innen, die dort zum Spielball internationaler Politik wurden, nicht komplett aufgelöst. Noch immer sitzen Menschen unter widrigsten Bedingungen dort fest oder werden nun, so die letzten Verlautbarungen aus Minsk, mit Bussen aus ihren notdürftig errichteten Lagern abgeholt und an andere, nicht weiter bestimmte Orte gebracht. Während an der Grenze zwischen Belarus und Polen politische Fehden auf dem Rücken Hilfesuchender ausgetragen wurden, nutzen die ‚Freien Sachsen‘ diese humanitäre Notlage für rassistische Hetze. So fielen erst kürzlich Teile der Partei mit einer Mobilmachung gegen einen vermeintlichen „Asylansturm“ auf, sowie mit dem Versuch, eine Demonstration gegen die ‚illegale Einschleusung von Migranten aus Polen‘ auf der Autobahn A4 abzuhalten.
Doch wer sind die ‚Freien Sachsen‘ eigentlich? Wer steckt hinter den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen? Wer schürt im Namen der ‚Freien Sachsen‘ Ressentiments gegen Asylsuchende? Und wie sind die Partei und ihre Führungsfiguren einzuordnen? In diesem Text versucht das JFDA e.V., einige der zentralen Fragen zu den ‚Freien Sachsen‘ zu beantworten.
1. Akteure
Ein Blick auf die Führungsfiguren der Partei macht deutlich, dass es sich bei den ‚Freien Sachsen‘ nicht um eine Querdenker-Partei aus der viel beschworenen ‚Mitte der Gesellschaft‘ handelt, sondern um eine am äußersten rechten Rand:
Schatzmeister der Partei ist Robert Andres, der dieselbe Funktion auch bei der Stadtratsfraktion von ‚Pro Chemnitz‘ innehat. Bei ‚Pro Chemnitz‘ handelt es sich um eine der NPD nahestehende ‚Bürgerbewegung‘, die nicht erst seit den rassistischen Ausschreitungen im Sommer 2018 in Chemnitz durch ihr völkisch-nationales Programm auffällt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Stadtratsfraktion inzwischen von der Stadt Chemnitz unter dem Namen „Ratsfraktion Pro Chemnitz/Freie Sachsen“ gelistet wird – eine Fusion hat hier bereits stattgefunden.
Zweiter stellvertretender Parteivorsitzender der ‚Freien Sachsen‘ ist der Reiseunternehmer Thomas Kaden, der im Zusammenhang mit Querdenken und anderen verschwörungsideologischen Veranstaltungen als Aktivist und Busunternehmer auftrat. Er kandidierte 2021 für die ‚Freien Sachsen‘ als OB-Kandidat in Plauen.
Erster stellvertretender Parteivorsitzender der Partei ist der IT-Unternehmer und NPD-Politiker Stefan Hartung. Er ist Beisitzer der NPD im Erzgebirgskreis und hatte Mandate für die rechtsextreme Partei unter anderem im Stadtrat Aue-Bad Schlema und im Ortschaftsrat in Bad Schlema.
Am deutlichsten wird die Verbindung der ‚Freien Sachsen‘ in die extreme Rechte am Beispiel des Parteivorsitzenden Martin Kohlmann. Kohlmann ist Rechtsanwalt in Chemnitz und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. In der Vergangenheit fiel er durch seine Aktivitäten in der Deutschen Sozialen Union (DSU), bei den rechtsnationalen ‚Republikanern‘ und durch seine Beziehungen zu der inzwischen verbotenen Vereinigung ‚Nationale Sozialisten Chemnitz‘ (NSC) auf sowie durch die juristische Verteidigung der rechtsterroristischen ‚Gruppe Freital‘ und anderer Neonazis. 2005 war er Mitbegründer von ‚Pro Chemnitz‘, trat auch im Zuge der rassistischen Ausschreitungen 2018 auf und hat derzeit die Funktion als Vorsitzender der ‚Pro Chemnitz/Freie Sachsen‘-Fraktion im Chemnitzer Stadtrat inne.
Zudem tritt seit einiger Zeit auch der nordrhein-westfälische Neonazi Michael Brück im Umfeld der ‚Freien Sachsen‘ in Erscheinung. Brück war stellvertretender Landesvorsitzender der neonazistische Kleinstpartei ‚Die Rechte‘ in NRW, saß für die Partei im Dortmunder Stadtrat und zählte zum harten Kern der inzwischen verbotenen Vereinigung ‚Nationaler Widerstand Dortmund‘ (NWDO). Er war am Versuch des Aufbaus eines sogenannten Neonazi-Kiezes in Dortmund-Dorstfeld beteiligt. Inzwischen ist Brück, vermutlich aufgrund politischer Erfolglosigkeit in NRW, nach Chemnitz umgezogen und hat dort eine Anstellung in der Kanzlei von Martin Kohlmann gefunden. Für die ‚Freien Sachsen‘ trat er mehrfach als Medienaktivist in Erscheinung, von ihm gefilmtes Material wurde u.a. über den Telegram-Kanal der Partei verbreitet.
2. Einschätzung der sächsischen Behörden
Seit Sommer 2021 ist bekannt, dass das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz die ‚Freien Sachsen‘ beobachtet. Grund hierfür sei, so der Präsident Dirk-Martin Christian, dass es sich bei den ‚Freien Sachsen‘ um eine Gruppierung handeln soll, die fest in der rechtsextremen Szene verankert sei und ein Mobilisierungspotential weit über die sächsischen Landesgrenzen hinaus habe. Es handele sich um „eine überregionale Vernetzungsplattform für Rechtsextremisten aus der gesamten Bundesrepublik“ mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Der Partei wird eine verfassungsfeindliche und erwiesene extremistische Bestrebung attestiert, bei ihrer vermeintlichen Kritik des Staates handele es sich letztlich „um dessen Verächtlichmachung und Delegitimierung“.
3. Programmatik
Neben der bereits angesprochenen fundamentalen Kritik an staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen finden sich zahlreiche weitere Punkte im Grundsatzprogramm der ‚Freien Sachsen‘. Dazu gehört die zentrale Forderung nach mehr Autonomie des Freistaates, notfalls gar nach einem „Säxit“. Verbunden wird dies mit der Forderung nach der Stärkung der sächsischen ‚Heimat‘, regionaler Produktion sowie nach Abkehr von angeblicher „Planwirtschaft“ und „staatlicher Gängelung“. Westdeutsche Politiker, Beamten und Journalisten, die zu viel Einfluss in Sachsen hätten, sollten ‚zurückgeführt‘ werden in ihre „Heimatländer“, Bürgerwehren („freiwillige Zusammenschlüsse von Sachsen zur gemeinsamen Aufrechterhaltung der Sicherheit“) dagegen gefördert. Zwischen den Zeilen lassen sich zudem die Anschlussfähigkeit für Monarchisten- und Reichsbürger-Positionen (bspw. bei der Einbindung des ‚sächsischen Königshauses‘) sowie etliche rassistische Positionen erkennen (insbesondere in Zusammenhang mit der geforderten restriktiven Einwanderungspolitik).
Diese und weitere Punkte, auch im Bereich der Bildungs- oder Sozialpolitik, machen klar, dass es sich bei den ‚Freien Sachsen‘ um eine Partei handelt, die sich nicht allein auf ihre Funktion als Protest-Partei der Corona-Maßnahmen-Kritiker:innen konzentrieren will. Um diesen Status müsste sie ohnehin in Konkurrenz zu Parteien wie ‚Die Basis‘ oder mancherorts auch regionalen Verbänden der AfD treten. Vielmehr stellen sich die ‚Freien Sachsen‘ mit ihrem Programm breiter auf und scheinen den Versuch zu verfolgen, eine Lücke zwischen der AfD und der neonazistischen Partei ‚Der III. Weg‘ zu füllen. Mit ihrem explizit pro-sächsischen Programm grenzt sich die Partei zudem von einer AfD ab, die bundesweit aktiv ist, über Landesgrenzen hinaus denkt und sich 2018 zumindest oberflächlich von der äußersten Rechten um ‚Pro Chemnitz‘ distanziert hat.
4. Einschätzung
Im Februar 2021 wurde die rechtsextreme Partei ‚Freie Sachsen‘ explizit im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gegründet. Nach wie vor sind ihre Mitglieder wichtige Akteur:innen in der Bewegung um Querdenken und Co. In ihr ist jedoch mehr als eine reine Corona-Protestpartei nach dem Vorbild der Partei ‚Die Basis‘ zu sehen. Durch die lokalpatriotisch-rechte Programmatik sowie die deutlichen personellen Überschneidungen mit der extremen Rechten Sachsens soll ein explizit pro-sächsischer Raum rechts der AfD besetzt werden. Die ‚Freien Sachsen‘ stellen zudem den Versuch der Personen um ‚Pro Chemnitz‘ dar, weiter an Einfluss über die Chemnitzer Stadtgrenzen hinaus zu gewinnen. In gewisser Weise ist die neu gegründete Partei also der sachsenweite, größere ‚Ableger‘ von ‚Pro Chemnitz‘ unter anderem Namen.
Es ist davon auszugehen, dass die Aktivitäten der ‚Freien Sachsen‘ auch weiterhin über Anti-Corona-Maßnahmen hinaus fortgesetzt werden und sie sich offen zeigen für rechtsextremes und rassistisches Gedankengut, wie dieses erst kürzlich im Lichte der humanitären Notlage an den EU-Außengrenzen deutlich wurde. Im Oktober 2021 zeigte die Partei mit einem Stand Präsenz bei der Veranstaltung zum siebten Jahrestag der Gründung von Pegida und scheint unter den Pegida-Anhänger:innen auf großes Interesse zu stoßen. Zudem zeigen die Ausschreitungen des ‚Pro Chemnitz‘-Umfelds im Sommer 2018 sowie Übergriffe gegen Presse und Polizei auf Corona-Demonstrationen im Jahr 2021, welches Gewaltpotenzial von diesen rechtsextremen Zusammenschlüssen ausgeht.
Das JFDA betrachtet die Beobachtung der Partei und die Einordnung als rechtesextremistisch durch den sächsischen Verfassungsschutz als einen notwendigen und richtigen Schritt. Nun liegt es an Zivilbevölkerung, Medien und Politik, der rechten Ideologie der ‚Freien Sachsen‘ und ihren extremistischen Bestrebungen entschieden entgegenzuwirken.
___________________ • Pressemeldung des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen
• Fotos von Recherchenetzwerk Berlin
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