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Der „Tag der Freiheit“: Wie er kam und ging. Berlin, 01.08.2020

Ein Beitrag zur Großdemonstration gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung am 1. August 2020 in Berlin

Am 1. August 2020 erklärten die Veranstalter:innen des „Tages der Freiheit“ in Berlin „das Ende der Pandemie“ in ganz Europa. Um dieses zu feiern, waren nach Polizeiangaben rund 20.000 Menschen aus ganz Deutschland angereist. Die Veranstalter:innen um die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“, „Nicht ohne uns“ und die bundesweiten „Querdenken“-Gruppierungen verkündeten zwischenzeitlich bis zu 1,3 Millionen Teilnehmende, eine Schätzung, zu der die euphorische Stimmung an diesem Tag wohl verleitet hatte. Nicht abzusprechen ist der Veranstaltung unterdessen, dass sie weitaus mehr Teilnehmer:innen angezogen hatte, als zu vermuten gewesen ist. Auch die Veranstalter:innen selbst schienen damit nicht mehr gerechnet zu haben, nachdem sie von den 500.000 Demonstrant:innen, die ursprünglich für das Tempelhofer Feld angemeldet waren, in den Tagen vor der Demonstration nur noch von rund 10.000 Teilnehmenden ausgingen.

Der „Tag der Freiheit“ am 01.08. begann um 11 Uhr mit einem Aufzug vom Brandenburger Tor über die Straße Unter den Linden, die Friedrich- und die Torstraße, am Alexanderplatz vorbei, zurück zu Unter den Linden und von dort Richtung Siegessäule, wo einige hundert Meter vom Großen Stern entfernt eine Bühne für die anschließende Kundgebung aufgebaut worden war.

Auf Unter den Linden war zu Beginn des Aufzuges kein Durchkommen. Dicht drängten sich die Demonstrationsteilnehmer:innen aneinander. Mund-Nase-Bedeckungen trugen nur Vertreter:innen der Presse und der Polizei. Gekommen waren ganze Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, mit Deutschland-Acessoires ausgestattete Menschen aus der bürgerlichen Mitte, Impfgegner:innen und technophile Hipster, Reichsbürger:innen und „Gelbwesten“ sowie Rechtsextreme und Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen, die sich durch das „Q“ (QAnon) und die mittlerweile gängig gewordenen T-Shirts der „erkennen-erwachen-verändern“-Bewegung des Verschwörungsideologen Heiko Schrang kenntlich machten.

Die Beteiligung vieler Personen aus den extremen rechten und verschwörungsideologischen Kreisen war abzusehen, hat doch ein breites Spektrum rechter und neonazistischer Gruppen und Organisationen im Vorfeld dazu aufgerufen. Neben KenFM, der NPD, dem III. Weg und der rechtsextremen „Patriotic Opposition Europe“ um Eric Graziani, mobilisierte auch das verschwörungsideologische „Compact“-Magazin zur Teilnahme, dessen Ausgaben während der Demonstration verteilt wurden.

14 Wagen bestückten laut Angaben der Veranstalter:innen den Zug , unter ihnen ein Wagen der „Patriotic Opposition Europe“, die sich mit „Nicht ohne uns“ verbündet hat. Auf dem ersten Wagen fanden sich Vertreter:innen der „Querdenken Stuttgart“-Gruppierung, die die Grundgesetzartikel verlasen, die sie im Zuge der Corona-Pandemie eingeschränkt vorgefunden hatten. Immer wieder riefen sie nach „Freiheit“ und „Frieden“ und berichteten von besonders schlimmen Vorkommnissen, die es im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen zu erleiden gilt, darunter der Umstand, dass man sich an der Nord- oder Ostsee seinen Badeplatz vorab online buchen müsse. Damit trafen sie den Nerv der Menschen, die dem Wagen folgten. Empört reagierten diese mit Buhrufen und jubelten immer dann frenetisch, wenn der Sprecher auf dem Wagen zum „Jubel“ aufforderte. Der lange Zug der Demonstrant:innen schlängelte sich durch die Stadt, die an diesem Tag besonders heiß war. Viele männliche Teilnehmer nahmen sich bei den hohen Temperaturen neben der Demonstrationsfreiheit auch die Freiheit heraus, ihre Oberkörper zu entblößen. Dabei gab sich teils der Blick frei auf so manche Tätowierung, die dem Repertoire des Germanen- und NS-Kultes zuzuordnen sind.

Auf der Straße des 17. Juni angekommen, mussten die Ordner:innen die nachrückenden Demonstrant:innen wiederholt auffordern, sich entlang der gesamten Straße zu verteilen, weil die Kundgebung sonst aufgrund der missachteten Mindestabstände von 1,50 Meter nicht starten könne.

Eröffnet wurde die Kundgebung unter anderem von dem musikalischen Beitrag einer jungen Frau mit Gitarre und Blumenkranz im Haar sowie dem Aufruf eines anderen Redners zu einer „Herzensminute“, dem bereitwillig nachgekommen wurde. Beides passte zu dem Eindruck vieler Teilnehmer:innen des vorangegangenen Aufzuges: Eine große Anzahl derselben schienen Verfechter:innen der Esoterik zu sein und ergänzten die Transparente und Rufe der diversen Demonstrierenden mit Weihrauch-Kerzen und Seifenblasen.

Es sprachen dann Michael Ballweg, der Gründer von „Querdenken-711 Stuttgart“ und der Unternehmensberater und Bestseller-Autor Thorsten Schulte, auch bekannt als „Silberjunge“. Besprochen wurden insbesondere die „Mainstream-Medien“ und ihre vermeintlich gesteuerten Berichterstattungen im Zuge der Corona-Pandemie, die Corona-Pandemie selbst, die in ihren Ausmaßen bzw. in den dazugehörigen Eindämmungsversuchen als „Fake“ angesehen wurde, die Nazi-Vorwürfe, mit denen sich die Coronaprotest-Bewegung von Anfang an konfrontiert gesehen hat, und die Vorbereitung einer neuen demokratischen Ordnung mit Neuwahlen und der Erklärung des 1. Augusts zum zentralen Nationalfeiertag dieser Ordnung. Auch Heiko Schrang sprach auf der Bühne von den geheimen Machenschaften der Bundeskanzlerin, der „Pharmaindustrie“ und der „Hochfinanz“, die Politiker:innen ihr Handeln vorschreiben würden. Später wurde er dabei beobachtet, wie er Selfies mit Dutzenden von „Fans“ machte. Weiterhin in Form einer Videoaufzeichnung eingespielt, wurde ein Redebeitrag des als „Freidenker“ bezeichneten Oliver Janich, der in der Vergangenheit durch rechtspopulistische und verschwörungsideologische Ansichten aufgefallen ist. Janich redete ebenfalls über die „lügenden Medien“, die die Menschen Tag für Tag verleumden würden und verglich die gegenwärtige Protestbewegung der Coronamaßnahmengegner:innen mit den Widerstandsbewegungen im Nationalsozialismus.

Parallel zu dieser Großkundgebung fand vor dem Reichstag eine Veranstaltung des „Staatenlos“-Gründers und früheren NPD-Mitglieds Rüdiger Hoffmann statt, auf dessen vorangegangener Kundgebung am 11. Juli 2020 Pressevertreter:innen bedrängt und antisemitische Äußerungen getätigt wurden. Bei dieser Randveranstaltung am 01.08. war auch der rechtsextreme „Volkslehrer“ Nikolai Nerling zugegen, der zuvor noch vor der Bühne auf der Straße des 17. Juni unterwegs gewesen war, sowie viele Vertreter:innen aus dem rechtsextremen Reichsbürger-Milieu. Hoffmann sprach, wie bereits von vergangenen Veranstaltungen dieser Art bekannt, von der angestrebten Abdankung der Bundesregierung und der Machtübernahme durch das „Deutsche Volk“. Vor dem Bundeskanzleramt nebenan standen währenddessen einige hundert Menschen und hörten Thorsten Schulte dabei zu, wie dieser verkündete, die Bundesregierung hätte sich mit dem Tag des 1. August ihr eigenes Grab geschaufelt. Daran anschließend versuchte er, die Anwesenden zu einer symbolischen Menschenkette um das Amtsgebäude zu animieren.

Um 16:52 löste die Polizei die Großkundgebung vor der Siegessäule offiziell per Lautsprecheransage von der Bühne des Veranstalters aus auf, da die Teilnehmer:innen die Einhaltung der Versammlungsauflagen konsequent missachteten. Die Ankündigung der Auflösung wurde mit großem Protest und spontanen Sitzblockaden versehen. Dabei kam es im Tiergarten zu Angriffen von Demonstrationsteilnehmenden gegenüber Polizeibeamt:innen. Die Veranstalter:innen diskutierten ca. eine Stunde lang auf der Bühne mit der Polizei, in dem Versuch, die Kundgebung weiterzuführen. Weil dies nichts half, ließen auch sie sich zu Sitzblockaden und Protest-Meditationen nieder. Einige von ihnen wurden daraufhin von den Beamt:innen weggetragen. Nachdem die Polizei zwei weitere Ansagen an die Demonstrant:innen gerichtet hatte mit der Aufforderung, den Veranstaltungsort in Richtung Charlottenburg zu verlassen, begannen Beamte gegen kurz vor 19 Uhr damit, einzelne Kundgebungsteilnehmer:innen festzunehmen. Diese Festnahmen liefen teils ruppig ab und wurden von den aufgebrachten Rufen der Teilnehmer:innen begleitet, die die Polizist:innen als „Söldner“, „Merkeldiener“ und „Handlanger der Nazis“ bezeichneten. Rasant lief ein Festnahmeversuch gegen einen Demonstranten ab, der Polizeibeamten „Fickt euch, ihr Idioten“ entgegenrief und diese als „Vollpfosten“ beleidigte. Als er dann auch noch einem Polizisten „Halt deine Schnauze“ zurief, versuchte ein Beamter den Mann festzunehmen. Dieser rannte davon, sprang über eine Hecke, wurde kurz von dem Polizisten, der die Verfolgung aufgenommen hatte, gepackt und konnte sich der Festnahme schließlich dann doch entziehen und im Gebüsch des Tiergartens verschwinden. Außerdem erhielten zwei Rechtsextreme, die durch eine tätowierte „Schwarze Sonne“, diverse Runen und ein T-Shirt der rechtsradikalen Band „Lunikoff Verschwörung“ auffielen, nach Ansprache durch die Polizei einen Platzverweis.

Gegen 20 Uhr lichtete sich der Platz um die Bühne sichtlich. Nur noch ein paar Sitzende, Feierlaunige und auf Auseinandersetzungen lauernde Hooligans blieben zurück. Einige hundert Meter weiter hatten sich, wie schon bei den vorausgegangenen Coronademonstrationen, die Tänzer:innen der „Freedom Parade“ eingefunden, um den abendlichen Tiergarten mit elektronischen Klängen zu beschallen.


Zu den Hintergründen

Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW)

Mitvereranstalter:innen des Aufzugs waren die Mitglieder der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) um den Schriftsteller Anselm Lenz. Er und seine Mitstreiter:innen gehörten in Berlin zu den ersten Organisator:innen der sogenannten „Hygenie-Demonstrationen“, die sich gegen die Bundesregierung richteten, die Maßnahmen zur Eindämmerung der Infektionskrankheit Sars-CoV-2 erlassen hatte. Die KDW betrachtet sich selbst als Widerstandsbewegung gegen ein diktatorisches Hygenie-System, in dem einflussreiche Eliten ihre Machtinteressen durchsetzten und die Bevölkerung lediglich als unmündige Bürger:innen ansähen. Legitimiert sehen sie sich durch Veröffentlichungen renommierter Staatswissenschaftler:innen, wie etwa den Philosophen Giogrio Agamben, der sich immer wieder mit staatlichen Ausnahmezuständen auseinandergesetzt hat. Anselm Lenz will hier zudem die Anwendung eines „Ermächtigungsgesetzes“ sehen, wie es in einem Radiobeitrag auf BR24 heißt. In einer eigenen Protest-Zeitung wird behauptet, eine „Opposition“ gegen das herrschende System zu sein. Der KDW geht es darum, dass die Macht von der Bevölkerung ausgeht, was aus ihrer Sicht nicht der Fall ist, auch wenn sie das negativ konnotierte „Wir sind das Volk“ vermeiden.


Querdenken 711

Mitveranstalterin der Großdemonstration war außerdem die aus Stuttgart stammende Initiative „Querdenken 711“. Bereits vor einigen Wochen kündigte deren Gründer Michael Ballweg an, gemeinsam mit „Nicht ohne uns“ in Berlin mit einer halben Million auf die Straße zu gehen. In der Vergangenheit hatte es bereits ähnlich große Veranstaltungen auf den Cannstatter Wasen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gegeben, deren Teilnehmer:innenzahlen zuletzt jedoch deutlich abgenommen haben.


Das rechtsoffene Bündnis

Nach Außen hin gab sich das Bündnis um „Nicht ohne uns“ im Vorfeld stets weltoffen. Rassismus und menschenfeindliches Gedankengut habe keinen Platz auf der Demonstration, wurde gebetsmühlenartig wiederholt. Eine Vereinnahmung von Rechts sollte unterbunden werden, einem Dialog mit verschiedenen politischen Strömungen stelle man sich aber nicht im Weg, heißt es etwa auch auf der Homepage. Auch aus dem Organisationsfeld waren extrem rechte Äußerungen zu vernehmen. Der Tagesspiegel wies in seinem Artikel auf das rassistische Weltbild von Pressesprecher Bergmann hin, das dieser auf Facebook teile. Neben dem „Schwadronieren“ von einem angeblichen Volkstods durch „Rassenvermischung“ teilt er dort auch menschenverachtende Plattformen und Bilder. Mit dem wegen Volksverhetzung verurteilten ehemaligen Grundschullehrer und selbsterklärten Rechtsradikalen Nikolai Nerling ist er inzwischen per du.


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