Im Zuge der „Internationalistischen Queer Pride“ kam es am 24.07.2021 in Berlin zu antisemitischen Äußerungen und massiver Behinderung von Pressearbeit. Die Geschehnisse stellen nicht nur eine extreme Form von Pressefeindlichkeit dar, sondern sind zugleich auch ein Sinnbild für die Probleme, die linke Strukturen mit Antisemitismus haben. Eine Einordnung.
1. Antisemitismus im IQP-Bündnis
Am Nachmittag des 24. Juli 2021 fand in den Berliner Bezirken Neukölln und Kreuzberg die „Internationalistische Queer Pride“ (IQP) statt. Gedacht war sie als Gegenveranstaltung zu anderen Demonstrationen anlässlich des Christopher Street Days, die in Teilen der linken Szene als zu kommerziell, mainstream, unpolitisch oder nicht radikal genug betrachtet werden. Bei der IQP handelte es sich jedoch nicht nur um eine explizit antirassistische Veranstaltung, sondern auch um eine Demonstration, die vom Berliner BDS-Ableger sowie anderen, der antisemitischen Israel-Boykottbewegung nahestehenden Gruppierungen organisiert wurde.
Teil des Bündnisses, das die Demonstration veranstaltete, waren neben „BDS Berlin“ etliche Gruppen, die bereits am 1. Mai 2021 Mitorganisator:innen der traditionellen 1. Mai-Demonstration in Berlin waren und für antizionistische und antisemitische Haltungen bekannt sind – wie „Palästina Spricht“ oder dem Berliner Ableger der „Migrantifa“. Die ebenfalls am Bündnis beteiligte Gruppe „Berlin Against Pinkwashing“ ist dafür bekannt, explizit antiisraelische Positionen in den Vordergrund zu rücken und BDS-Positionen zu unterstützen. Hinzu kommt der „Jüdische antifaschistische Bund“, welcher der als „Jewish Antifa“ bekannten Gruppe nahesteht, die durch radikale, antizionistische Positionen in Erscheinung trat. Auch der „Jüdische antifaschistische Bund“ fiel durch die Verbreitung entsprechender Positionen auf. Die Integration von jüdischen Personen und Gruppen in antizionistische Bündnisse stellte in der Vergangenheit mehrfach den Versuch dar, sich gegen Antisemitismus-Kritik zu immunisieren (vgl. dazu diesen Artikel von Meira García und Igor Netz).
Auch das Veranstaltungsplakat der IQP erweckte bereits im Vorfeld den Eindruck, dass den Veranstalter:innen die Verbreitung antizionistischer Positionen mindestens genauso wichtig waren, wie der offizielle Veranstaltungsgrund – also eine antirassistische, linke Pride abzuhalten. So fanden sich die palästinensische Flagge und die Slogans „No Pinkwashing“ (das im Kontext der o.g. Gruppierung als explizit gegen Israel gerichtet verstanden werden muss) und „Free Palestine“ auf dem Plakat, das ansonsten auf Nationalsymbole oder Verweise auf andere internationale Konflikte weitestgehend verzichtete. Der meist speziell auf linken Antisemitismus bezogene Slogan „Gegen jeden Antisemitismus“ wurde auf dem Plakatzu einem halbgaren „Gegen Antisemitismus“ – angesichts der am Bündnis beteiligten Gruppen muss diese Aussage schlicht als eine Farce bezeichnet werden.
Im Vorfeld der Demonstration verbreitete das IQP-Bündnis, das unter dem Namen „Berlin Queers Against Racism and Colonialism“ (QuARC) auftritt, ein ausführliches „Awareness-Statement“, das die Schlagrichtung der Demonstration weiter verdeutlichte. In der Aufzählung der menschenfeindlichen und ausgrenzenden Positionen, die auf der Demonstration nicht geduldet würden, fehlte wenig überraschend Antisemitismus – im Gegensatz zu bspw. Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus, Sexismus oder Nationalismus, wobei letzteres palästinensischen Nationalismus nicht mit einzuschließen schien. Darüber hinaus fand sich in dem Statement folgende Aussage: „Es gibt keine Befreiung für uns ohne die Befreiung der Palästinenser:Innen. Die sogenannten Antideutschen sind bei dieser Veranstaltung nicht willkommen.“ Weshalb die LGBTIQ+-Szene ausgerechnet ohne eine wie auch immer geartete Befreiung Palästinas unfrei bleibt, blieb im Statement unbeantwortet. Der Verweis auf sogenannte „Antideutsche“ jedoch machte klar: Israelsolidarität ist auf dieser Demonstration ein No-Go.
Dass keine Kritik an der LGBTIQ+-feindlichen Politik der Fatah, Hamas und ihnen nahestehenden islamistischen Gruppierungen geäußert wird, statt dessen aber „Kritik“ an Israel – jenem einen Land im Nahen Osten, in dem queeres Leben ermöglicht und geschützt wird –, lässt sich kaum anders als durch israelbezogenen Antisemitismus motiviert erklären. Auch die Ausblendung anderer antikolonialer oder sonstiger Kämpfe, denen internationalistische Solidarität ausgesprochen werden könnte, bei gleichzeitiger kompletter Konzentration auf den Nahostkonflikt, sagt einiges über den Fokus des QuARC-Bündnisses aus. In diesem Zusammenhang kann durchaus von einer Dämonisierung Israels und von Doppelstandards in seiner politischen Beurteilung gesprochen werden.
Die Zusammensetzung und Ausrichtung des hier beschriebenen IQP-Bündnisses sind ein Sinnbild für die Vereinnahmung von antirassistischen und LGBTIQ+-Kämpfen durch antiisraelische Gruppierungen. Es entsteht der Eindruck, dass es den Veranstalter:innen im Endeffekt weniger um LGBTIQ+-Kämpfe geht, als vielmehr um eine Plattform für ihre antizionistischen und antisemitischen Positionen, verkleidet in einem queeren, antirassistischen und hippen Gewand.
Für linke jüdische Positionen oder für Personen, die sich gegen israelbezogenen Antisemitismus stellen – ohne sich damit automatisch positiv auf israelische Politik zu beziehen –, ist in diesem Teil der linken Szene offensichtlich kein Platz (vgl. dazu u.a. diesen Artikel von Anastasia Tikhomirova). Dies beweist auch ein Vorfall am Rande der IQP, bei dem eine queere Person, die antiisraelische Statements kritisierte, sofort von Teilnehmenden der Demonstration umringt und angebrüllt wurde.
Der rege Zulauf zu entsprechenden Veranstaltungen verdeutlicht, dass es sich hierbei nicht um Randpositionen handelt. Antisemitismus, getarnt als antirassistischer Antizionismus, hat leider einen festen Platz in der Linken – in Deutschland und darüber hinaus. Offen bleibt die Frage, ob die mehreren Tausend Teilnehmer:innen der IQP den Positionen des QuARC-Bündnisses mehrheitlich zustimmen, ob sie ihnen egal sind oder ob sie dafür schlicht blind sind. Egal wie diese Frage zu beantworten ist – das Phänomen ist für Jüdinnen:Juden in Deutschland,in Israel und andernorts mehr als besorgniserregend.
2. Angriffe auf die Pressefreiheit und Falschdarstellungen
Aus all den hier aufgeführten Gründen beschloss das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, die Demonstration zu beobachten und etwaige antisemitische Zwischenfälle zu dokumentieren. Das Monitoring aller Formen von Antisemitismus – von Neonazi-Demonstrationen über islamistische oder verschwörungsideologische Bewegungen bis hin zu linkem Antisemitismus – gehört zu den zentralen Arbeitsfeldern des JFDA. Gleich zu Beginn fielen auf der IQP antiisraelische und antisemitische Narrative auf, wie sie in den vergangenen Monaten auf vielen teils antirassistischen, teils aber auch islamistischen Demonstrationen aufgetaucht waren (vgl. dazu das Monitoring des JFDA; bspw. vom 15. Mai 2021).
Doch schon bevor die Mitarbeiter:innen des JFDA mit der Dokumentation beginnen konnten, wurden sie von Ordner:innen der IQP massiv bedrängt und an der Ausführung ihrer Arbeit behindert. Immer wieder wurden die Pressevertreter:innen des JFDA sowie Kolleg:innen anderer Organisationen und Medien als „Zionistenpresse“ beschimpft – ein Begriff, dessen Ähnlichkeit zum antisemitischen Begriff „Judenpresse“ wohl nicht zufällig ist. Gegenüber einem Journalisten wurde zudem die Drohung ausgesprochen, die „Community“ würde ihn „killen“, falls er Fotos von Demonstrationsteilnehmer:innen veröffentlichen sollte.
Insbesondere eine Person aus dem Ordner:innen-Team fiel durch ihre extreme Aggressivität gegenüber den anwesenden Journalist:innen auf. Sie schrie den Pressevertreter:innen durch ein Megafon ins Ohr und ging eine Journalistin auch körperlich an. Die anwesenden Pressevertreter:innen, alle im Besitz offizieller Presseausweise, wurden in ihrer Bewegungsfreiheit und der Möglichkeit, ihrer Arbeit nachzugehen, so massiv eingeschränkt, dass es ihnen nicht möglich war, die Veranstaltung zu begleiten. Über ein Megafon wurden Aussehen und Kleidung von Pressevertreter:innen beschrieben und vor ihnen, der „gefährlichen Zionistenpresse“, gewarnt.
Von Seite der Berliner Polizei gab es mehrfach die Aufforderung, die Bedrohungen zu unterlassen. Da den klaren Aufforderungen der Polizei nicht nachgekommen wurde, wurde die besonders aggressiv auftretenden Person aus dem Ordner:innen-Team zwischenzeitlich festgenommen. Seitens des QuARC-Bündnisses und seines Umfeldes kursieren nun groteske Falschdarstellungen und Vorwürfe, die Journalist:innen seien Rechtsextreme, die den Einsatz der Polizei orchestriert und aktiv mit ihr zusammengearbeitet hätten, um für die Festnahme von Einzelpersonen zu sorgen. Über die vorausgegangenen Bedrohungen gegenüber der Presse schweigt das Bündnis bislang.
Das JFDA hat weitreichende Erfahrung im Monitoring von Demonstrationen und anderen Veranstaltungen. Hierbei kommt es regelmäßig zu körperlichen oder verbalen Übergriffen und zu Versuchen, die Pressearbeit zu behindern. Dies passiert für gewöhnlich eher auf Veranstaltungen, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden können. Auch auf verschwörungsideologischen Demonstrationen aus dem Querdenken-Umfeld kam es immer wieder zu Einschüchterungsversuchen und Behinderung von Pressearbeit. Selten jedoch hatten diese Übergriffe eine Dimension, wie das am 24. Juli bei der „Internationalistischen Queer Pride“ der Fall war. Selbst das Einschreiten der Berliner Polizei konnte nicht verhindern, dass den Pressevertreter:innen vor Ort das Arbeiten nachhaltig verunmöglicht wurde. Sie mussten schlussendlich ihre Beobachtung abbrechen. Dieses Ausmaß an Pressefeindlichkeit in Form von physischer Bedrängung, Einschüchterung und Beschimpfung als „rassistisch“, „rechts“ und „Zionistenpresse“ ist auch für erfahrene Kolleg:innen des JFDA schockierend.
Im Anschluss an die Demonstration tauchten zudem auf Twitter Fotos von Pressevertreter:innen auf, die auf der IQP versucht hatten, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie wurden im Stile von Fahndungsfotos verbreitet mit dem Aufruf, die Namen der abgebildeten Personen herauszufinden und zu veröffentlichen. Die gezeigten Journalist:innen wurden zudem als ‚rechte Rassisten‘ bezeichnet. Da es sich hier um Bilder von Personen handelt, die unter höchstem Risiko auch neonazistische oder islamistische Bewegungen beobachten, stellen die Verbreitung der Fotos und ein versuchtes Outing eine reale Gefahr für sie dar. Am 25. Juli wurden die Fotos entfernt – allerdings scheinbar nicht von dem inzwischen deaktivierten Account, der sie verbreitet hatte, sondern von der Plattform Twitter. Das QuARC-Bündnis nennt die attackierten Pressevertreter:innen „right-wing ‚journalists‘“, wobei „journalists“ in Anführungszeichen steht. Die Berichte von Übergriffen und antisemitischen Slogans werden zudem als vermeintliche Lügen dargestellt
3. Die einfache Einteilung in ‚gut‘ und ‚schlecht‘
Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus bietet ein breites Spektrum an Bildungsarbeit an, unterstützt Betroffene von verbaler und physischer Gewalt, ist aktiv im interreligiösen Dialog und setzt sich durch seine Arbeit für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ein, in der Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Identität, Religion, Sexualität etc. gleichberechtigt und frei leben können. Unter hohem Einsatz beobachten Kolleg:innen des JFDA deshalb nicht zuletzt rechte und verschwörungsideologische Bewegungen. Dass sie von Teilen der linken Szene Berlins nun als rechts(extrem) oder rassistisch diffamiert werden, zeigt, wie sehr der Blick mancher Menschen hier durch ideologische Scheuklappen eingeengt zu sein scheint.
Personen, die einerseits die Notwendigkeit eines nachhaltigen Antirassismus‘ und eines Kampfes für die Rechte der LGBTIQ+-Szene sehen, aber andererseits eben auch die Bedeutung der Existenz Israels für Jüdinnen:Juden auf der ganzen Welt betonen, werden konsequent aus linken Strukturen ausgeschlossen. Jüdische Positionen, die nicht antizionistisch sind, werden marginalisiert. Was von der eigenen Ideologie – ihrerseits unterfüttert durch modernen Antirassismus und Fragmente postkolonialer Theorie – abweicht, wird automatisch als rassistisch und rechts gelabelt. Dazu gehören auch Personen und Gruppen, die sich dem schwierigen aber wichtigen Thema des islamischen Antisemitismus widmen und sich dafür oft Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt sehen. In einer erschreckenden Simplizität wird binär in ‚gut‘ und ‚schlecht‘ eingeteilt. In diesem Weltbild wird Solidarität mit dem einzigen echten Schutzraum für jüdische Menschen sowie der einzigen Demokratie im Nahen Osten – die sich konstant Angriffen und existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sieht – der Kategorie ‚schlecht‘ oder ‚falsch‘, ergo ‚rassistisch‘ bzw. ‚rechts‘ zugeordnet.
Trotz aller berechtigten Kontroverse über politische Positionen, über Antisemitismus oder den Nahostkonflikt – die Bedrohung, Diffamierung und Beleidigung von Pressevertreter:innen sowie der anschließende ‚Fahndungsaufruf‘ auf Twitter stellen eine schockierende neue Eskalationsstufe dar. Das Jüdische Forum verurteilt die Geschehnisse am 24. Juli zutiefst und zeigt sich solidarisch mit den betroffenen Journalist:innen angesichts dieses nicht hinnehmbaren Eingriffs in die Pressefreiheit. In seinem Kampf gegen Antisemitismus – ob rechten, islamischen, verschwörungsideologischen oder eben linken – wird sich das JFDA nicht einschüchtern lassen. Wie notwendig dieser Kampf ist, hat leider nicht zuletzt die „Internationalistische Queer Pride“ am vergangenen Samstag offenbart.
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