Am Samstag, den 11.07.2020, kam es durch Teilnehmer_innen einer Kundgebung des ehemaligen NPD-Politikers und heutigen Betreibers des Portals „staatenlos.info“ Rüdiger Hoffmann vor dem Reichstag zu massiver Bedrängung von Pressevertretern und zur Behinderung der Pressearbeit.
Unter ihnen war auch ein Feldbeobachter des Jüdischen Forums (JFDA). Mehrere Teilnehmende fühlten sich vom Mund-Nase-Schutz des Journalisten provoziert. Sie drängten ihn von der Kundgebung ab, stellten sich vor seine Kamera und machten ihm die Ausübung seiner Arbeit unmöglich. Wiederholt forderten sie den Pressevertreter auf, die „Maskierung“ zu entfernen, sich auszuweisen oder gar das Filmen einzustellen. Es kam zu einer bedrohlichen Situation, als der Pressvertreter von mehreren Männern regelrecht umstellt wurde. Polizeibeamt_innen wurden hinzugezogen, nachdem der Journalist den Drohungen der Umstehenden nicht nachgab und erklärte, er würde sich allein der Polizei gegenüber ausweisen.
Die Beamt_innen unterstützten den Beobachter des JFDA und machten unmissverständlich klar, dass dieser das Recht habe zu Filmen, dabei nicht behindert werden dürfe und er keiner Ausweisungspflicht Demonstrationsteilnehmenden gegenüber unterliege. Doch auch die offizielle Anweisung der Polizei, den Journalisten nicht weiter zu behelligen, wurde nicht akzeptiert. Besonders auffällig in seiner Uneinsichtigkeit war ein Mann, der sich als rechtlicher Vertreter von Rüdiger Hoffmann zu erkennen gab, und der den Mitarbeiter des JFDA im Vorfeld mehrfach aufgefordert hatte, seine Arbeit einzustellen und bereits aufgenommenes Videomaterial unverzüglich zu löschen.
Bei diesem Mann handelte es sich um Wolfram Nahrath, ein deutscher Neonazi-Kader und Rechtsanwalt, der mehrfach Neonazis vor Gericht juristisch vertrat. Er war bis zu ihrem Verbot im Jahr 1994 Vorsitzender der „Wiking-Jugend“, war für die im Jahr 2009 ebenfalls verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“ tätig und im Jahr 2000 zum Vorsitzenden des Bundesschiedsgerichts der rechtsextremen NPD gewählt (1). Ferner war er Pflichtverteidiger des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben und Verteidiger der Holocaustleugnerin Sylvia Stolz.
In einer minutenlangen Diskussion mit der Polizei beharrte Nahrath auf der staatenlos-Kundgebung darauf, den Presseausweis des Journalisten des JFDA zu sehen und ließ sich auch durch einen durch die Polizist_innen angedrohten Platzverweis nicht bremsen. Er traktierte Journalisten und Beamt_innen mit seinen Forderungen und wurde wenig später dabei beobachtet, wie er auf weitere Pressevertreter_innen losging und versuchte, diese an ihrer Arbeit zu hindern.
Außer Nahrath nahmen mehrere weitere Einzelpersonen der NPD Berlin teil, die, zusammen mit den Redebeiträgen insbesondere von Rüdiger Hoffmann, den angekündigten Rahmen der Kundgebung von „Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung“ sehr fragwürdig erschienen ließen. Als Symbol für seinen Aufruf verwendete Hoffmann die „Weiße Rose“ im Zusammenhang mit Sophie Scholl. Damit wollte er sich scheinbar in die Tradition der gleichnamigen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus stellen. In der Ankündigung zur Kundgebung ging er auch auf die Verschwörungsmythen um die Corona-Pandemie ein und reproduzierte dabei die derzeit unter rechten Verschwörungsideolog_innen beliebte Unterstellung einer neuen Normalität der Zwangsmaßnahmen, die von der Regierung befohlen und aufgezwungen worden seien, obwohl durch das Virus angeblich keine Gefahr ausgehe.
In einer seiner Reden am 11.07.2020 wendete sich Hoffmann direkt an das Jüdische Forum. In dem Versuch zu widerlegen, dass er ein rechtsextremer Aktivist sei (als solchen hatte das JFDA ihn in einem Videobeitrag bezeichnet) (2), erklärte er, dass er selbst gegen den Faschismus kämpfe. Er sprach von „Verunglimpfung“ und „übler Nachrede“ – da man an ihm ja keine Hakenkreuze und Springerstiefel sehe, könne er auch nicht rechtsextrem sein. Warum das Jüdische Forum ihn kritisiere, könne er sich daher nur dadurch erklären, dass „gewisse Leute und Kreise“ Angst davor hätten, dass Hoffmann mit seinem Projekt der Entnazifizierung der Bundesrepublik Erfolg haben könne. Denn da die Sicherheit Israels ja zur deutschen Staatsräson gehöre, hätten ebenjene „Leute und Kreise“ möglicherweise Angst „um die Finanzierung Israels“ und davor, dass nach einem Ende der BRD Israels Sicherheit gefährdet sei.
Nachdem bekannt geworden war, dass ein Vertreter des JFDA unmittelbar vor Ort war, stellte Hoffmann diesen mit seinen rhetorisch angelegten Fragen und antisemitischen Stereotypen u.a. in Bezug auf die finanzielle Verknüpfung Israels mit der deutschen Bundesregierung offen bloß und zeigte mit dem Finger direkt auf ihn, als er von Satan, dem „Vater der Lügen“ sprach. Von Seiten der Demonstrant_innen, die den Mitarbeiter des JFDA umstanden, wurde dieser daraufhin als „Rothschild“ bezeichnet.
Hoffmanns Thesen, die er immer wieder auf seinen Kundgebungen vorträgt, scheinen mitunter schwer zu durchdringen – ein ehemaliger NPD-Politiker, der heute reichsbürgernahe Veranstaltungen durchführt, auf denen auch Rechtsextreme der NPD teilnehmen, der sich allerdings für eine „Entnazifizierung“ einsetzt und das Symbol der „Weißen Rose“ benutzt, scheint widersprüchlich, zumal Hoffmann sich wiederholt als „Antifaschisten“ bezeichnet. Daher soll im Folgenden eine kurze biografische Darstellung seiner Person und seiner politischen Ansichten erfolgen.
Von NPD-Klasen zu Reichsbürger-Hoffmann
Die politische Biografie Rüdiger Hoffmanns, geboren als Rüdiger Klasen, reicht bis in die frühen 1990er Jahre zurück. Er gehörte zu den ersten Mitgliedern der NPD in den Neuen Bundesländern und war deren Kreisvorsitzender im Landkreis Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern.
Während dieser Zeit verfügte er bereits über enge Kontakte zu Neonazi-Kadern im Westen und war bundesweit gut vernetzt. Zudem galt er schon damals als gewaltbereit. Die rassistische Anschlagswelle der ersten Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung gingen so auch nicht an seinem Wirkungskreis spurlos vorbei. Im Juli 1992 verübte der damals 25jährige Klasen mit weiteren Neonazis einen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft und musste sich ein Jahr später wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. (3) In der Gerichtsverhandlung offenbarte er seine weitreichenden Kontakte zu westdeutschen Vertretern der NPD und wurde auch durch das Gericht als wichtiger Verbindungsmann der Partei im Osten wahrgenommen. 1994 verurteilte ihn das Landgericht Schwerin wegen versuchten Mordes zu dreieinhalb Jahren Haft. (4)
Nach seiner Haftzeit blieb es lange ruhig um den ehemaligen Finanzkaufmann. Seine Gesinnung hat er jedoch keineswegs abgelegt: Noch 2010 trat er als Referent bei einer NPD-Veranstaltung in Leipzig auf, orientierte sich aber spätestens ab dieser Zeit zunehmend in Richtung verschwörungsideologischer Kreise und Reichsbürger-Szene.
Trotz seiner bekannten neonazistischen Biografie beschreibt er sich inzwischen selbst als Antifaschisten. Seine zentrale These: Eine Entnazifizierung Deutschlands fand nie statt und das nationalsozialistische Regime wurde formal nie beendet. So besteht in seinen Augen das Dritte Reich faktisch weiter fort und die Bundesrepublik ist dessen Nachfolgeorganisation, die eine faschistische Politik betreibt. Seiner Auffassung nach sind alle derzeitigen rechtsstaatlichen Gesetze ungültig und Deutsche demzufolge „staatenlos“. Von dieser Annahme ausgehend gründete Hoffmann auch das Portal „staatenlos.info“, auf dem er seine Verschwörungsmythen vornehmlich in Videobotschaften verbreitet. Sein Ziel ist es, eine „wirkliche“ Entnazifizierung durchzusetzen.
„Belagerung“ des Bundestags
Auch außerhalb des Internets versucht Rüdiger Hoffmann seine Ansichten zu verbreiten. Seit nun mehr fast sieben Jahren steht er, ausgestattet mit Pavillon und Mikrofon, regelmäßig vor dem Reichstagsgebäude, um vor einer meist überschaubaren Anhänger_innenschaft seine Thesen zu verbreiten. Zeitweise jedes Wochenende dort anzutreffen, fordert er eine Rückkehr zu einem monarchistischen Kaiserreich. In Solidarität mit den Gelbwesten-Protesten in Frankreich rief er im Jahr 2019 zur Revolution und Stürmung des Regierungsgebäudes auf, um die „BRD GmbH“ zu beenden. (5) Es war nicht sein erster derartiger Versuch dieser Art, die Regierung zu stürzen. Die Teilnehmendenzahl bei seinen Kundgebungen vor dem Reichstag beläuft sich auf durchschnittlich etwa 100 Menschen, wobei unter diesen auch eine nicht geringe Anzahl von Tourist_innen zu vermuten sind, die seine Show-Inszenierungen und Kostümierungen als historische Reenactment-Veranstaltungen missinterpretierten.
Hoffmann und die extreme Rechte heute
Mit seinen Äußerungen und Handlungen bewegt sich Hoffmann immer wieder am Rande der Strafbarkeit und oftmals darüber hinaus. Wie die 𝘵𝘢𝘻 berichtet (6), musste er sich, abgesehen von seiner Haftstrafe zu Beginn der 1990er Jahre, bereits in einer Vielzahl von Strafverfahren vor Gericht verantworten. Oftmals ging es dabei um Volksverhetzung und Beleidigung, aber immer wieder auch um nicht bezahlte staatliche Rechnungen, denn die Organe der Bundesrepublik werden von ihm nicht anerkannt. So nutzt er auch die Verhandlungssäle als Bühne, um dort, meist mit seinen Sympathisant_innen auf den Besucher_innenrängen, Staatsanwält_innen und Richter_innen als Nazis zu beschimpfen und sich selbst als politischen „Märtyrer“ zu inszenieren – eine beliebte Strategie von Reichsbürger_innen, um Gerichte und Anwesende einzuschüchtern und ihnen ihre Legitimität abzusprechen. Hoffmann selbst sieht sich selbstredend nicht als Reichsbürger, lehnt diesen Begriff für sich ab und bezeichnet sich in seinen Reden und Videos lieber als „Antifaschisten“, „Umweltaktivisten“ und „Regimekritiker“. Tatsächlich befasst er sich in seinen auf „staatenlos.info“ veröffentlichten Videos oft mit Umweltthemen. Diese jedoch warten mit typischen verschwörungsideologischen Inhalten auf, wie dem angeblichen Einsatz der Chemtrails zur Überwachung der Bevölkerung und pseudo-naturwissenschaftlichen Energiequellen wie Gezeitenkraftwerke, Raumenergie und kalte Fusion.
Als angeblicher Regimekritiker und Friedensaktivist soll er nach in seinen Videos getätigten Äußerungen schon Russland dazu bewegt haben, in den Syrienkonflikt einzugreifen. Informant_innen aus höchsten Regierungskreisen sollen ihm zudem geheime Dokumente zugespielt haben, die seine Thesen der angeblichen Fortführung des Nationalsozialismus in Deutschland „stichhaltig“ belegen sollen. Die Ankündigungen, diese spektakulär zu veröffentlichen, sind bisher ebenso wie seine Reichstagsstürmungen nicht in die Realität umgesetzt worden.
Die von Hoffmann auf staatenlos.info geteilte Homepage „www.spazierganQ.de“, die direkt zum Internetaufruf zur Kundgebung am 11.07. führt, gibt einen weiteren Hinweis auf seine ideologische Ausrichtung. Denn statt einem „g“ am Ende des Wortes „Spaziergang“, wird ein großes Q verwendet. Das ist wiederum ein offenkundiger Verweis auf die QAnon-Bewegung, oftmals nur mit „Q“ abgekürzt, die einen „tiefen Staat“ bzw. einen „Deep State“ innerhalb der US-Regierung vermutet, der darauf ziele, US-Präsident Donald Trump zu stürzen. (7) Auch in Deutschland wird dieser Verschwörungsmythos seit den ersten Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen immer beliebter.
Vergangene Woche sprach Rüdiger Hoffmann noch auf der Bühne des Holocaustleugners Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) vor dem Bundeskanzler_innenamt – das JFDA berichtete. (8) Dass Hoffmann in dem Bericht als rechtsextremer Aktivist bezeichnet wurde, veranlasste ihn in einem kurzen Kommentar auf der Webseite zur Kundgebung am 11. Juli suggestiv die Frage zu stellen, ob das Jüdische Forum nicht eigentlich nationalsozialistisch sei, wenn es jemanden wie ihn, der sich ja selbst als Antifaschist bezeichnet und für die Entnazifizierung eintritt, kritisiere.
Dass er auf einer Kundgebung des rechtsextremen „Volkslehrers“ auftrat, erklärte Hoffmann am 11.07. übrigens so, dass doch jeder Mensch die „Botschaft der Wahrheit und der Liebe“ verdiene zu hören – auch jemand wie Nikolai Nerling.
Einzelnachweise:
(1): Vgl. taz: Antifa contra NPD-Anwalt, 27. Februar 2001, https://taz.de/Antifa-contra-NPD-Anwalt/!1185596/.
(2) Vgl. JFDA: Purer Rassismus vor dem Bundeskanzleramt – zur Kundgebung ‚Für Deutsche Kultur in Deutschland‘ am 04.07.2020, 5. Juli 2020, https://jfda.de/blog/2020/07/06/purer_rassismus_vor/.
(3) Vgl. taz: NPD-Mann wegen versuchtem Mord vor Gericht, 8. April 1993, S. 2, https://taz.de/!1621421/, zuletzt eingesehen am 8. Juli 2020.
(4) Vgl. Neues Deutschland: Haftstrafe für NPD-Funktionär, 17. Dezember 1994, https://www.neues-deutschland.de/artikel/523031.haftstrafe-fuer-npd-funktionaer.html, zuletzt eingesehen am 8. Juli 2020.
(5) Vgl. Der Tagesspiegel: Außen Gelbweste, innen Reichsbürger, 25. Januar 2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/gekaperte-proteste-in-berlin-aussen-gelbweste-innen-reichsbuerger/23911796.html, zuletzt eingesehen am 8. Juli 2020.
(6) Vgl. Taz: „Reichsbürger“ verurteilt, 17. Dezember 2016, S. 54, https://taz.de/!5363608/, zuletzt eingesehen am 9. Juli 2020.
(7) Vgl. Deutschlandfunk: Die Bewegung „QAnon“ wird zur Religion, 10. Juni 2020, https://www.deutschlandfunk.de/verschwoerungsmythen-die-bewegung-qanon-wird-zur-religion.886.de.html?dram:article_id=478337, zuletzt eingesehen am 09. Juli 2020.
(8) Vgl. JFDA: Purer Rassismus vor dem Bundeskanzleramt – zur Kundgebung ‚Für Deutsche Kultur in Deutschland‘ am 04.07.2020, 5. Juli 2020, https://jfda.de/blog/2020/07/06/purer_rassismus_vor/.
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