Am frühen Abend des 1. Mai 2024 kam es in Berlin-Neukölln zur traditionellen linksextremen “Revolutionären 1. Mai-Demonstration”. Während die antiisraelischen und auf Palästina bezogenen Teilnehmer:innen in den vergangenen Jahren auf einzelne Blöcke der Demonstration beschränkt waren, stellte Israelfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Solidarität mit Palästinenser:innen dieses Jahr den Mittelpunkt der Versammlung dar. Offene Verherrlichung des Terrors der RAF und der Hamas, Forderungen nach einer neuen Intifada sowie das mehrfache Rufen der Parole “From the river to the sea”, waren die antisemitischen Tiefpunkte. Dazu kam es zu Bedrängung von Pressevertreter:innen sowie mindestens einem gezielten Steinwurf auf einen Journalisten.
Diese antisemitische Radikalisierung der Demonstration ist eine seit einigen Jahren stetig zu beobachtende Tendenz. Die früher nur teilweise sichtbaren israelfeindlichen Inhalte mehren sich vor allem seit der Übernahme der Organisation der Veranstaltung durch die sogenannte Migrantifa im Jahr 2021.[1] Diese zeichnet sich unter anderem durch ein dichotomes antiimperialistisches Weltbild aus und sucht seit einiger Zeit auch die Nähe zu islamistischen Akteuren. So kam es bereits bei der ersten durch die Migrantifa organisierten 1.Mai-Demo zur Teilnahme der inzwischen verbotenen Gruppe Samidoun. Auch Angehörige des BDS-Bündnisses konnten an der Veranstaltung teilnehmen.
Die folgenden Jahre verschob sich der inhaltliche Schwerpunkt mehr und mehr. Nachdem 2022 bereits “Intifada ist unser Klassenkampf” zum Motto erklärt wurde[2] im vergangenen Jahr 2023 beispielsweise Samidoun als eigener Block mit entsprechenden Transparenten mitlief und auch BDS ihre Buchstaben und Banner stolz und unwidersprochen vor sich her trugen, folgte dieses Jahr eine weitere Eskalation. Nach dem brutalen Massaker der islamistisch- palästinensischen Terrorgruppe Hamas an über 1200 Israelis am 7. Oktober 2023, scheint sich die Szene nun weiter antisemitisch radikalisiert zu haben. Mit beispielloser Täter-Opfer- Umkehr und Verklärung von politischen Tatsachen schlägt man sich teilweise offen auf die Seite des antisemitischen Terrors. Doch der Reihe nach.
Kurz nach 18 Uhr lief die “Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" am Südstern in Berlin mit etwa 13.000 Teilnehmer:innen los. Der dabei gehaltene Redebeitrag der israelfeindlichen Jugendgruppe “Young Struggle” gab den inhaltlichen Rahmen vor: Hass auf Israel, welchem in der Rede ein “Genozid” vorgeworfen wurde. Das ist eine Verharmlosung tatsächlicher Genozide sowie eine Dämonisierung des Staates Israel, welche seit dem 7. Oktober und der darauf folgenden militärischen Reaktion der israelischen Verteidigungskräfte omnipräsent in der antizionistischen Szene ist. Während sich der Aufzug formierte wurde schnell deutlich, dass der Themenschwerpunkt “Palästina” sich in diesem Jahr nicht auf einzelne Blöcke beschränken sollte: das sogenannte Palästinensertuch (“Kuffiyeh”) war bei hunderten Teilnehmer:innen zu sehen, Palästina-Fahnen wehten in jedem Teil der Demo und immer wieder wurde Israel auf Plakaten verteufelt. Aus arabisch geprägten Teilen des Aufzugs waren abgewandelte Versionen der “from the river to the sea” Parole auf arabisch zu hören: “Vom Wasser zum Wasser, Palästina ist arabisch”.[3] Mit “Palästina” ist an dieser Stelle auch das Staatsgebiet des heutigen Israels gemeint, welches in der Forderung der Parole keinen Platz mehr hat. Sie kommt somit einem Vernichtungswunsch des einzigen Schutzraums für Juden und Jüdinnen gleich.
Die “Revolutionäre Kommunistische Partei” forderte auf einem Banner eine “Intifada bis zum Sieg”.[4] Auch von den Teilnehmer:innen wurde immer wieder “Yalla Yalla Intifada” gerufen.[5]Dieser offen kommunizierte Wunsch nach einer erneuten willkürlichen Ermordung von Juden, Jüdinnen und Israelis, wie sie bei den vergangenen zwei Intifadas massenhaft begangen wurde, und nach dem schlimmsten Massaker an Juden und Jüdinnen seit der Shoa am 7. Oktober 2023, ist antisemitisch. Während jüdische Einrichtungen und Gemeindehäuser angegriffen und bedroht werden, bleibt die Solidarität für Juden und Jüdinnen auf der 1. Mai-Demonstration gänzlich aus.
Zu einer Zäsur kam es bereits am Startpunkt der Versammlung. Ein Redner forderte eine “kommunistische Kampfpartei”, die sich früher oder später in die Tradition der Roten Armee Fraktion (RAF) stellen müsse. Dabei wird nicht nur geschichtlich verfälscht, dass die RAF weder eine Partei noch kommunistisch und stattdessen eine Terrorgruppe war, sondern explizit der gewaltvolle Terrorismus verherrlicht und als Notwendigkeit bezeichnet. Die RAF, die unter anderem bei der Entführung eines Flugzeuges der Air France Juden von Nichtjuden selektierte, war eine explizit israelfeindliche und antisemitische Organisation. Ihre Mitglieder ließen sich in sogenannten Terrorcamps der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) an der Waffe ausbilden. In jenen Terrorcamps wurden auch Mitglieder der neonazistischen “Wehrsportgruppe Hoffmann” trainiert. Dass sich Teilnehmer:innen der Berliner 1. Mai-Demonstration in diese Tradition stellen wollen und dies auch unwidersprochen einfordern, ist ein neuer Tiefpunkt einer antiemanzipatorischen Radikalisierung der jährlichen Proteste.
Neben Terrorverherrlichung und Israelfeindschaft kam es am Rand mehrfach zu Bedrängung von Pressevertreter:innen. Dabei wurde versucht Kameras zu verdecken oder die journalistisch tätige Person abgedrängt und abfotografiert. In einem besonders schweren Fall nahm ein Teilnehmer der Demonstration einen Pressevertreter gezielt ins Visier und verfehlte ihn mit einem Steinwurf aus nächster Nähe nur um wenige Zentimeter. Umstehende Demonstrant:innen griffen nicht ein.
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